Eileen Woestmann: „Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Solidarität für junge Menschen“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zu Mitbestimmungsrechten von Kindern und Jugendlichen

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Im Rahmen der Debatte, die gerade schon gelaufen ist, sind wir uns wohl alle einig, dass Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auch außerhalb von Kita und Schule total wichtig ist und sehr zentral ist, dass sie vor allem so beteiligt werden, dass sie einen Erfolg daran messen können, dass sie beteiligt worden sind.

In § 6 des Dritten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist sehr konkret festgeschrieben, dass Kinder und Jugendliche an allen ihre Interessen berührenden Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen, insbesondere bei der Wohnumfeld- und Verkehrsplanung, der bedarfsgerechten Anlage und Unterhaltung von Spielflächen sowie der baulichen Ausgestaltung öffentlicher Einrichtungen in angemessener Weise beteiligt werden sollen. Das heißt: Es ist gesetzlich festgeschrieben, dass eine Beteiligung stattfinden soll. – Ob das tatsächlich so stattfindet, steht auf einem anderen Papier.

Die Frage ist: Wie bekommen wir es hin, dass Kinder und Jugendliche besser beteiligt werden? Ich glaube, dass der Jugendcheck, der von der SPD vorgeschlagen wird, nicht unbedingt die Lösung ist. Ich bin aber sehr auf die Debatte im Fachausschuss gespannt, weil wir uns einig sind, dass da mehr passieren muss.

Meine Erfahrung im Bereich „Stadtentwicklung“ ist, dass es in der Regel Verfahren sind, die schon für Erwachsene unheimlich lange dauern und sehr kompliziert sind. Es gibt eine erste Offenlage, eine zweite Offenlage, es gibt Beschwerdeverfahren usw.

Frau Siebel, Sie haben in Ihrer Rede schon angesprochen, dass es auch immer wieder vorkommt, dass Kinder und Jugendliche bei der Planung von Spielplätzen beteiligt werden, die Kinder aber erwachsen sind, wenn der Spielplatz fertig ist. Das ist nicht sinnvoll, sondern bedeutet Frust. Wir brauchen keine Frustrationsbeteiligung, nur damit wir Erwachsenen sagen können: „Toll, wir haben die Kinder beteiligt, wir haben alles gemacht“, während es für die Kinder und Jugendlichen keine positive Erfahrung war.

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, ich müsste Sie einmal kurz unterbrechen. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der SPD. Möchten Sie die zulassen?

Eileen Woestmann (GRÜNE): Das habe ich schon gesehen. Gerne.

Präsident André Kuper: Herr Dr. Maelzer.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Frau Kollegin Woestmann.

Sie haben eben darauf abgehoben, dass unser Antrag darauf abzielt, dass es bei Planungsverfahren auf Landesebene einen Kinder- und Jugendcheck geben soll, und gesagt, das sei aus Ihrer Sicht nicht die richtige Beteiligungsmethode.

Sind die Grünen denn immer noch der Auffassung, dass ein Kinder- und Jugendcheck in Gesetzgebungsverfahren die richtige Beteiligungsmethode sein soll? Was ist dann der Unterschied bei Planungsverfahren, weswegen Sie in dem Fall sagen, das sei nicht richtig?

Eileen Woestmann (GRÜNE): Das ist eine spannende Frage, weil ich auch in meinem Team diskutiert habe, wie sich Ihr Jugendcheck von unserem unterscheidet.

Wie wir das interpretiert haben – deswegen ist die Debatte im Fachausschuss spannend, weil wahrscheinlich ein bisschen unklar ist, wie man Dinge definiert –, ist der Punkt von dem Jugendcheck bei Gesetzgebungsverfahren für mich ganz klar: dass wir prüfen, welche Auswirkungen dieses Gesetz auf Kinder und Jugendliche hat, um dann klarzumachen, wie Kinder beteiligt werden müssen, wenn sie konkret betroffen sind.

(Beifall von Dagmar Hanses [GRÜNE])

Wenn ich Ihren Antrag richtig verstanden habe – ich bin bereit, mich im Ausschuss auf eine Debatte dazu einzulassen und mich korrigieren zu lassen –, geht es in Ihrem Antrag darum, dass Kinder und Jugendliche per se beteiligt werden müssen. Die Frage, ob das in einer geeigneten Art und Weise möglich ist oder nicht, ist in dem Jugendcheck, den Sie vorschlagen, erst einmal nicht vorgesehen.

Dementsprechend sind wir selbstverständlich weiterhin dafür, bei Gesetzgebungsverfahren einen Jugendcheck durchzuführen. Den verpflichtenden Jugendcheck bei Planungsverfahren, die landesseitig vorgesehen sind, habe ich bisher anders verstanden. Wenn es anders ist, können wir darüber gerne noch einmal diskutieren.

Wir brauchen aus meiner Perspektive keine Frustrationsbeteiligung, sondern eine Erfolgsbeteiligung. Damit Kinder und Jugendliche einen Erfolg, ein Gefühl der Selbstwirksamkeit haben, muss es eine sehr enge Begleitung durch Pädagoginnen und Pädagogen oder durch Erwachsene geben, die sich auf Kinder und Jugendliche einlassen können, die die Sachverhalte so herunterbrechen können, dass es für Kinder verständlich und nachvollziehbar ist, dass Rahmen, in denen Entscheidungen getroffen werden können, klar sind und bei denen vor allem – Frau Siebel, das haben Sie vorhin sehr richtig dargestellt – ein Erfolg sichtbar ist.

Es bringt ja nichts, wenn es eine Beteiligung ist, bei der man nicht weiß: Was habe ich jetzt hier eigentlich gemacht?

Das Ganze steht auch in der Kinderrechtskonvention – das hat Frau Gebauer angesprochen –, die sehr klar ist und die vor allem eines sehr klar fordert, nämlich, dass die Frage von Kinderrechten noch stärker verankert wird. Da machen Sie in Ihrem Antrag auch einen Punkt auf, zwar nicht in den Forderungspunkten, aber in Ihrem Antragstext, auf den ich gerne noch eingehen würde, nämlich die Frage, welchen Stellenwert Kinder bei der Entscheidungsfindung hier in unseren Parlamenten und aber auch in der Gesellschaft haben.

Das Buch von Professor El-Mafaalani, Professor Dr. Kurtenbach und weiteren mit dem Titel „Kinder – Minderheit ohne Schutz“ macht sehr deutlich, dass wir extrem viel Luft nach oben haben, um Kinder besser in unserer Gesellschaft zu verankern. Wenn man sich den Koalitionsvertrag auf Bundesebene anschaut, muss man allerdings feststellen, dass das Wort Kinderrechte dort nicht erwähnt wird und die Forderung, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden, ebenfalls keine Beachtung findet, was aus meiner Perspektive ein sehr zentraler Schritt wäre, um Kindern eine höhere Priorität in unserer Gesellschaft zu geben.

Herr Professor Dr. Kurtenbach war am Freitag auf dem Fachkräftetag des Chancen-Ministeriums und hat da noch einmal seine Position deutlich gemacht. Ich würde gerne auf eine Sache eingehen und sie paraphrasieren. Er hat dargestellt, dass es in Deutschland 13 Millionen Eltern gibt, bei denen man davon ausgehen könnte, dass sie eher für ihre Kinder abstimmen würden oder Entscheidungen treffen würden. Von denen sind ungefähr 10 Millionen wahlberechtigt.

Jetzt könnte man denken: Okay, das ist eine relativ große Gruppe, die kann ja doch was für ihre Kiddies tun. Ich setze einen Vergleichswert dagegen: Der ADFC, nein, der ADAC – schön, wenn es der ADFC wäre, aber es ist der ADAC – hat 22 Millionen Mitglieder, um einfach mal deutlich zu machen, wie klein die Gruppe der Eltern in Deutschland ist.

Das lässt für mich den Schluss zu, dass wir eine gesamtgesellschaftliche Solidarität für junge Menschen brauchen. Da brauchen wir Kinder- und Familienpolitiker uns untereinander nicht zu streiten. Aber es braucht eine Verantwortung, die in der Gesellschaft für Kinder und Jugendliche übernommen wird.

Eine Möglichkeit, die die Kinderrechtskonvention aufmacht, ist die sogenannte Kindeswohlvorrangprüfung, ein wahnsinnig kompliziertes Wort. Faktisch runtergebrochen bedeutet das, dass alle Entscheidungen daraufhin geprüft werden, ob sie auf das Kindeswohl eine Auswirkung haben. Ich persönlich finde, dass es so passieren muss und dass diese Kindeswohlvorrangprüfung eingeführt werden muss, damit wir Erwachsenen Verantwortung für unsere Kinder und Jugendlichen übernehmen können.

Es ist ehrlicherweise auch keine neue Forderung, dass wir Verantwortung für die nachfolgenden Generationen übernehmen. 1980 haben wir Grünen plakatiert: „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt.“ Und das gilt heute mehr als je zuvor. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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