Dr. Robin Korte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir passen das Gesetz heute an zwei verschiedene Entscheidungen des Verfassungsgerichts mit Bezug zum Kommunalrecht an und nehmen darüber hinaus noch eine für den Schutz der Privatsphäre unserer Kandidierenden bei der Kommunalwahl auch sehr wichtige Klarstellung in der Kommunalwahlordnung vor.
Eingehen möchte ich, wie meine zwei Vorredner, insbesondere auf die Frage des Sitzzuteilungsverfahrens, also die Frage, mit welchem mathematischen Verfahren das prozentuale Wahlergebnis einer Partei- oder Wählergruppe am Ende in ganze, vollzählige Sitze im Rat- oder Kreistag umgerechnet wird.
Vor zwei Wochen haben die Richter*innen unseres Verfassungsgerichtshofs mit knapper Mehrheit, aber eben doch mit Mehrheit entschieden, dass das von uns im vergangenen Juli eingeführte Quotenverfahren mit prozentualem Restausgleich als Sitzzuteilungsverfahren für die Kommunalwahl unzulässig ist. Selbstverständlich nehmen wir daher heute die in der Rechtsfolge unausweichliche Rückänderung vor und führen das vorherige Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers auch wieder ein.
Ansinnen unserer Reform im vergangenen Jahr war, dass jede Stimme möglichst den gleichen Einfluss auf die Sitzverteilung hat und dass dabei weder stimmenstarke noch stimmenschwache Parteien oder Wählergruppen eine strukturelle Bevorzugung oder Benachteiligung erfahren. Darüber hinaus war es unser Anliegen, dass das Verfahren für möglichst viele Wählerinnen und Wähler nachvollziehbar und auch selbst nachrechenbar ist.
Die Verfassungskonformität wurde uns im parlamentarischen Verfahren von renommierten Experten aus dem Verfassungsrecht und der Mathematik bestätigt. Der Vorschlag fand hier im Landtag eine große Mehrheit, auch mit Unterstützung aus der Opposition. Gleichwohl haben die Richter*innen unseres Verfassungsgerichtshofs jetzt mit vier zu drei Stimmen mehrheitlich, wenn doch knapp, entschieden, dass dieses neue Sitzzuteilungsverfahren die Rechte auf Chancengleichheit und Gleichheit der Wahl der dagegen klagenden Parteien verletzt, sodass es selbstverständlich nicht bei der kommenden Kommunalwahl angewendet werden kann.
Präsident André Kuper: Herr Dr. Korte, ich muss Sie gerade einmal unterbrechen. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der FDP. Wollen Sie die zulassen?
Dr. Robin Korte (GRÜNE): Ich würde die gerne zulassen; vielleicht gehe ich in der folgenden Rede ohnehin darauf ein. Aber sehr gerne.
Präsident André Kuper: Also zulassen?
Dr. Robin Korte (GRÜNE): Ja.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank. Herr Kollege Dr. Korte, ich biete Ihnen das umgekehrt genauso an, wenn Sie einmal einen Fragewunsch an meine Person gerichtet haben. – Sie haben gerade noch einmal versucht, die vermeintlichen Stärken des Rock-Verfahrens fachlich darzustellen. Wie bringen Sie das mit dem von Ihnen selbst in Auftrag gegebenen Gutachten überein, das genau das Gegenteil besagt und das Sie deshalb als Geheimgutachten vor der Öffentlichkeit verborgen haben? Wie passt das mit dem Bild zusammen, das Sie heute wieder verbreiten wollen?
Dr. Robin Korte (GRÜNE): Ich habe genauso wie mein Vorredner ausgeführt, welche Vorteile das neue Verfahren hat. Ich werde das gleich auch noch weiter darstellen.
Zur Frage der Gutachten. Wir haben unterschiedliche Gutachten gesehen, die FDP-Fraktion hat Gutachten herangezogen, und vor Gericht wurden Sachverständige befragt, die zu unterschiedlichen Auffassungen gelangt sind. Wir haben sowohl in der Vorbereitung auf das Gesetzgebungsverfahren als auch im Gesetzgebungsverfahren im Parlament unterschiedliche Sachverständige gehört, und es ist so, wie ich es gerade dargelegt habe. Ganz unterschiedliche und sehr renommierte Sachverständige – Juristen, Mathematiker – haben uns sowohl im Vorfeld als auch bis vor das Verfassungsgericht in unserem Ansinnen bestätigt und die Verfassungskonformität an der Stelle befürwortet, wie sie eben in einem Sondervotum des Gerichts festgestellt wurde.
Darauf möchte ich gerne im Folgenden weiter eingehen. Das Urteil vor Gericht ist knapp ausgefallen. Die drei ablehnenden Richter haben – ich hatte es bereits erwähnt – ein Sondervotum verfasst, in dem sie – damit bin ich wieder bei der Rede; das für die Zeiterfassung –
(Heiterkeit von Christian Dahm [SPD] und Justus Moor [SPD])
eine vollends andere Auffassung darlegen, als sie die entscheidungstragende Mehrheit getroffen hat. In diesem Sondervotum treffen sie auch die Schlussfolgerung, dass das von uns vorgelegte Verfahren der Logik bisheriger Rechtsprechung folgend – Kollege Moor hat dazu bereits aufgeführt – als verfassungskonform anzusehen sei.
Dieses Sondervotum bestätigt uns am Ende ein Stück weit in unserer ursprünglichen Intention, die darin bestand, im bestehenden Wahlrecht das reale Problem der sehr heterogenen Überrepräsentation zu beantworten und möglichst verzerrungsfrei zu lösen. Nach dem jetzt wieder einzuführenden Verfahren Sainte-Laguë/Schepers kommt es beim Fehlen einer Sperrklausel immer wieder zu einer weit überproportionalen Überrepräsentation insbesondere von Kleinst- und Splitterparteien, wenn zum Beispiel ein rechnerischer Anspruch von wenig mehr als einem halben Sitz auf einen Sitz aufgerundet wird, wie das bei den letzten Kommunalwahlen in ähnlicher Form wiederholt vorkam.
Mit dem von uns eingeführten und jetzt für rechtswidrig erklärten Quotenverfahren mit einem prozentuellem Restausgleich war das Ziel verbunden, diese sehr deutliche Überrepräsentation abzubauen und eine möglichst unverfälschte Abbildung des Wahlergebnisses in der Sitzverteilung in den Kommunalparlamenten herzustellen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Ich will betonen, dass sich dieser Ansatz ausdrücklich von dem Verfahren nach d’Hondt unterscheidet. Das d’Hondtsche Verfahren bevorzugt bekanntermaßen große Parteien strukturell. Dennoch wäre es nach der derzeitigen Rechtslage als verfassungsgemäß anzusehen. In einigen Bundesländern wird es bei Kommunalwahlen auch angewandt. In Hessen wird es derzeit sogar wieder neu eingeführt.
Aus unserer Sicht hätte das von uns eingeführte und jetzt für rechtswidrig erklärte Quotenverfahren mit einem prozentualem Restausgleich demgegenüber einen Ausgleich geschaffen und eine sinnvolle Weiterentwicklung des Wahlrechts dargestellt. Dem Urheber des Verfahrens, meinem Kollegen Simon Rock, will ich deshalb namens meiner Fraktion für den mathematischen Versuch, ein reales Problem im bestehenden Wahlrecht möglichst fair und transparent zu lösen, obgleich des ergangenen Urteils meinen vollen Respekt aussprechen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Meine Damen und Herren, gerade an die Reihe der Kritiker: Wenn es der Mehrheit im Landtag nur um politische Geländegewinne gegangen wäre, hätten wir es uns leichter machen und das Verfahren nach d‘Hondt wieder einführen können. So war es aber ausdrücklich nicht,
(Christian Dahm [SPD]: Jetzt aber!)
sondern es war der Versuch, das Wahlrecht durch einen wohlüberlegten Mechanismus besser, einfacher und fairer zu gestalten.
Die Richter*innen sind vor zwei Wochen mehrheitlich zu einer anderen Einschätzung als wir gekommen. Das respektieren wir selbstverständlich und handeln deswegen heute auch unverzüglich.
Es sind nur noch wenige Monate bis zu den Kommunalwahlen. Daher bleibt wenig bzw. keine Zeit für eine weitergehende Beschäftigung mit der Thematik. Die einzig verantwortbare Option ist jetzt, zum Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers zurückzukehren. Ich bin froh und dankbar, dass wir hierbei mit allen demokratischen Fraktionen und auch mit der klageführenden FDP an einen Strang ziehen, um für die Kommunen, für die Parteien und für die Wähler*innen in Vorbereitung auf die Kommunalwahl so schnell wie möglich Klarheit zu schaffen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, Christian Dahm [SPD] und Justus Moor [SPD])