Dr. Robin Korte: „Gerechtigkeit und Gleichwertigkeit lassen sich nur durch Ausgleich, durch Solidarität und durch einen effektiven Einsatz knapper Mittel erreichen“

Zur Einbringung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2023 durch die Landesregierung - erste Lesung

Portrait Robin Korte

Dr. Robin Korte (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Woche hat uns der Bundespräsident auf raue Jahre eingestimmt. Was das konkret bedeutet, ist auch in der heutigen Debatte zum Landeshaushalt schon angesprochen worden.

Wir erleben Zeiten großer Unsicherheit, wie sie nur noch wenige in diesem Land erlebt haben: Inflation, Krieg, existenzielle Sorgen und Ängste, die bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft reichen, Menschen, die nicht wissen, ob sie die nächste Nebenkostenabrechnung noch bezahlen können und ob die Maschinen, an denen sie im beruflichen Alltag arbeiten und mit denen sie ihr Familieneinkommen erwirtschaften, im nächsten Jahr noch Energie haben werden, Menschen, die sich nicht sicher sein können, welche Auswirkungen dieses mörderischen Krieges unsere Gesellschaft noch erreichen werden.

Diese Ungewissheit im Schatten des Krieges besteht auch für die öffentlichen Haushalte. Das zeigt der heute vom Finanzminister eingebrachte Basishaushalt. Wir sehen zwar eine Steuerschätzung des Bundes, die Mehreinnahmen in Milliardenhöhe prognostiziert, aber wir ahnen gleichzeitig, dass das, was in den kommenden Jahren an Kosten und Mehrausgaben auf unsere öffentlichen Haushalte zurollt, einer Lawine gleichkommt.

Diese Lawine – das muss gesagt werden – trifft unsere Kommunen am schwersten: Städte und Gemeinden, von denen sich viel zu viele praktisch seit den Nullerjahren in immer wieder neuen Krisen befinden, der Strukturwandel mit der Krise am Arbeitsmarkt, die Finanzkrise von 2008, der Konsolidierungsdruck der 2010er-Jahre, die Unterbringung von Millionen Geflüchteten in 2015 und auch heute wieder, Corona und nicht zuletzt die Flutkatastrophe, die auch ein Zeichen für die immer realer werdende und immer deutlicher werdende Klimakrise ist.

Diese Krisen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben unsere Kommunen getroffen, jede einzelne von ihnen, und zwar unterschiedlich hart, und sie haben ihre Aufgabenerfüllung und ihre Handlungsspielräume enger gemacht.

Nun stellt eben auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine Städte und Gemeinden abermals vor existenzielle Sorgen, Sorgen um den sozialen Zusammenhalt und um Arbeitsplätze, um eine preislich kaum mehr planbare Energieversorgung, Stadtwerke in Sorge vor Liquiditätsschwierigkeiten, um die Sicherung der kritischen Infrastruktur und vor Hacker-Attacken. Erneut fliehen Hunderttausende von Menschen, vor allem Frauen und Kinder, in dieser Zeit vor Krieg und Verfolgung zu uns, und „zu uns“ heißt eben: zu allererst in unsere Städte und Gemeinden. Denn es ist ja nicht der Gesetzgeber, es sind auch nicht die Ministerien in Düsseldorf oder Berlin, bei denen die Geflüchteten ankommen, sondern physisch, in persona sind es die Beschäftigten in unseren Kommunalverwaltungen und die Tausenden von Ehrenamtlichen in unseren Städten und Gemeinden, die die Menschen in unserem Land durch diese Krisen begleitet haben und die sie auch weiter durch diese Krisen begleiten werden.

Es sind die Mitarbeiterinnen in den kommunalen Servicecentern, es sind die Sachbearbeiter in den Wohngeldstellen, die derzeit als erste Verzweiflung, aber auch Wut gespiegelt bekommen, wenn Menschen ihre Stromrechnung oder Lebensmittel nicht mehr bezahlen können. Es sind die Hausmeister und Ingenieurinnen unserer kommunalen Bauämter, die in diesen Tagen dafür sorgen, dass wir unsere Energiesparziele auch tatsächlich erreichen. Nicht zuletzt sind es die Erzieherinnen und Erzieher, die in ihren Gruppen trotz Fachkräfte- und Raummangel Platz für zu uns geflohene Kinder schaffen.

Sie alle können diese enorme Leistung nur deshalb und nur dann erbringen, wenn sie dafür die notwendigen Finanzmittel und gesicherte kommunale Haushalte vorfinden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nachdem es aber einem Großteil unserer Kommunen in den vergangenen zehn Jahren gerade erst unter enormen Anstrengungen gelungen ist, den Haushalt wieder in den Griff zu bekommen, stehen diese Städte und Gemeinden heute quasi wieder am Anfang – eine Rekordinflation, Energiepreise, die sich mindestes verdoppeln können, Personalkosten, die unweigerlich steigen müssen, wenn der öffentliche Dienst in diesen Zeiten attraktiv bleiben soll, und nicht zuletzt steigende Zinsen. Allein die Zinsentscheidung der EZB aus der vergangenen Woche bedeutet für unsere von Altschulden belasteten Kommunen mittelfristig schon eine Mehrbelastung von über 150 Millionen Euro pro Jahr.

Hinzu kommen – auch das muss gesagt werden – galoppierende Baukosten bei einem steigenden und immer drängenderen Investitionsbedarf, Kita- und OGS-Anspruch, noch unvollständige Ausfinanzierung der Rückkehr zu G9, der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die energetische Sanierung, Maßnahmen zur Klimaanpassung, sozialer Wohnungsbau. Diese Liste der investiven Herausforderungen, vor denen unsere Kommunen stehen, ließe sich noch einige Zeit fortsetzen.

Das alles führt mich zum vorliegenden GFG-Entwurf. Da sei eines vorweggesagt: Nein, dieses Gemeindefinanzierungsgesetz allein wird die skizzierten gewaltigen Probleme natürlich nicht lösen können. Das wäre von einem einzigen Gesetz sicherlich auch zu viel verlangt.

In Verbindung mit der Verlängerung der sogenannten Bilanzierungshilfe um ein weiteres Jahr, die überdies auch von den kommunalen Spitzenverbänden und insbesondere von Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern der SPD begrüßt wird, gibt dieser GFG-Entwurf aber ein wichtiges Stück Sicherheit und vor allem Handlungsfähigkeit für die kommenden Monate.

Denn das GFG – das ist an dieser Stelle die gute und wichtige Nachricht – bleibt in diesen Zeiten der Ungewissheit stabil. Es entspricht in seiner Struktur im Wesentlichen dem GFG des Vorjahres, und auch, wenn dieses natürlich nicht perfekt ist, erwächst daraus ein wichtiges Stück Verlässlichkeit in dieser Zeit.

Durch die obligatorische Grunddatenaktualisierung und die weiterhin nur hälftige Umsetzung der differenzierten Hebesätze ergeben sich naturgemäß für die einzelnen Kommunen jeweils Vor- oder auch Nachteile in der Berechnung der jeweiligen Schlüsselzuweisungen. Es liegt in der Natur der Sache, dass mit einem so komplexen Berechnungsmodell, wie wir es hier vorfinden, niemand per se zu 100 % zufriedengestellt werden kann.

Aus meiner Sicht ist es aber eine gute und eine belastbare Grundlage für den Zusammenhalt in der kommunalen Familie, den wir gerade in dieser Zeit dringend brauchen werden.

Dass – darauf will ich noch mal insbesondere verweisen – in der Bedarfsberechnung vor allem den Soziallasten eine stärkere Berücksichtigung zukommt – lieber Herr Moor, auch Sie haben es angesprochen –, ist, glaube ich, in diesen schwierigen Zeiten ein wichtiges Signal der Unterstützung vor allem an diejenigen Kommunen, die nach wie vor besonders mit den Folgen des Strukturwandels zu kämpfen haben und daher auch hier besondere Lasten zu schultern haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf beinhaltet zwei weitere positive Nachrichten. Zunächst – das wurde schon mehrfach gesagt – werden die Kommunen Mittel in Rekordhöhe erhalten. Die Finanzausgleichsmasse steigt um 8,3 % und macht damit die für 2022 auf das Gesamtjahr gerechnet prognostizierte Inflationsrate zumindest wett. Trotzdem war es natürlich richtig von Frau Ministerin Scharrenbach, dass sie diese Mittel nicht abgefeiert hat, sondern die Kommunen auch von Anfang an auf die Notwendigkeit von Rücklagen hingewiesen hat.

Zweitens. Um diesen wichtigen Anstieg der Finanzmasse jetzt nicht zu konterkarieren, wird es eben keinen Vorwegabzug der kreditierten Mittel von knapp eineinhalb Milliarden Euro aus den vergangenen beiden Jahren geben. Auch in Zukunft kann es diesen Abzug aus meiner Sicht nur dann geben, wenn die kommunalen Finanzen zuvor wieder auf stabile Beine gestellt worden sind – so, wie es CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Denn wer mit offenen Augen und Ohren durch unsere Städte und Gemeinden reist, der kommt doch um deren einhellige Botschaft nicht umhin: Unsere Kommunen brauchen zur Bewältigung der wachsenden und der bleibenden Herausforderungen nicht mehr nur echtes Geld, sie brauchen es vor allem auch planbar, verlässlich und dauerhaft.

Darum ist es so wichtig, dass wir nicht nur die Vergangenheit bewältigen, indem wir die Frage der Altschulden ernsthaft angehen – lieber Herr Moor und lieber Herr Wedel, da sind natürlich zunächst insbesondere auch der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister der FDP gefragt, tätig zu werden und zu handeln –, sondern dass wir auch die Zukunft gestalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Sven Wolf [SPD]: Das wird langsam schimmelig, weil es so lange auf dem Tisch liegt!)

Dafür werden wir als Regierungskoalition die Altschuldenlösung mit einem landeseigenen Investitionsprogramm in kommunalen Klimaschutz verbinden, das im Ländervergleich in seiner Höhe seinesgleichen suchen wird.

Wir wollen auch nicht länger in einer immer kleinteiligeren Zahl von weiteren Förderprogrammen für Kommunen Geld verlosen, sondern werden den Förderdschungel lichten und Förderungen für große Städte wie kleine Gemeinden gleichermaßen zugänglich und handhabbar machen.

Einfach wird das sicherlich nicht. Denn gleichwertige Lebensverhältnisse erreichen wir eben nicht nach dem Gießkannenprinzip. Grundlage für eine gerechte und für eine möglichst unbürokratische Finanzierung unserer Kommunen müssen dagegen sachgerechte und bedarfsorientierte Verteilungsschlüssel sein. Eine Kommunalfinanzierung nach dem Bierdeckelprinzip wird diesem Anspruch auch in Zukunft weiterhin nicht gerecht werden können.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Gerechtigkeit und Gleichwertigkeit lassen sich nur durch Ausgleich, durch Solidarität und durch einen effektiven Einsatz knapper Mittel erreichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Soweit ein kleiner Ausblick in die Zukunft, zu einigen der wichtigen Themen der Gemeindefinanzierung, die wir uns für diese Legislaturperiode noch vorgenommen haben. Jetzt geht es zunächst darum, diesen guten Entwurf für ein GFG 2023 im parlamentarischen Verfahren gemeinsam kritisch und konstruktiv weiter zu begleiten.

Ich freue mich daher auf die Sachverständigenanhörung und die Debatten dazu im zuständigen Fachausschuss und darauf, dass wir im Sinne unserer Kommunen in schwierigen Zeiten ein abgewogenes und ein verlässliches GFG auf den Weg bringen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)