Dr. Julia Höller: „Darauf zielt Russlands Strategie: das Vertrauen in Institutionen, in Technik, in demokratische Prozesse zu zerstören“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag zu LowLevel-Agenten

Portrait Dr. Julia Höller

Dr. Julia Höller (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bilder der letzten Tage wirken wie aus einem Spionagethriller: Paketbomben, GPS-Tracker, gezielte Sabotagepläne, aber nicht irgendwo im Ausland, sondern mitten in Köln, an unseren Flughäfen und mitten in unserem Alltag. Doch das ist kein Drehbuch, das ist kein Planspiel, das ist die Realität 2025 hier in Nordrhein-Westfalen.

Russland führt längst einen Krieg gegen uns – hier in NRW nicht mit Panzern, sondern mit Desinformation, Cyberattacken, wirtschaftlicher Erpressung und eben mit sogenannten Low-Level-Agenten, deren Ziel es ist, unsere Gesellschaft zu destabilisieren und Ängste zu schüren. Das ist hybride Kriegsführung: leise, tückisch, kaum sichtbar und doch brandgefährlich.

Ein neuer Akteur in diesem Schattenkrieg ist inzwischen besonders auffällig: der Low-Level‑ oder Taschengeldagent. Das sind Menschen, die online für einfache Dienste rekrutiert werden, mal für Paketbomben, mal als Plakatbeschmierer, oft ohne zu wissen, wessen Spiel sie wirklich spielen. Einige Hundert Euro, ein bisschen Taschengeld, und plötzlich werden sie Teil eines geopolitischen Machtkampfes. Im Bundestagswahlkampf wurden Fahrzeuge mit dem Ziel sabotiert, den Eindruck zu erwecken, dass die Taten von Klimaschützer*innen verübt wurden, ein perfides Ablenkungsmanöver.

Falsche Fährten, Desinformation, Zersetzung: Russland operiert im Schatten und nutzt billige Hände vor Ort. Diese Gefahr wurde lange unterschätzt. Wir Grüne haben früh vor russischer Einflussnahme, vor gezielter Spionage in Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft gewarnt. Wir haben immer klare Haltung gezeigt: ob bei Nord Stream, ob bei Menschenrechten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Dafür haben wir Widerspruch bekommen. Doch der brutale Angriffskrieg gegen die Ukraine und die zunehmenden Aktivitäten russischer Dienste auf deutschem Boden zeigen: Diese Haltung war richtig und ist notwendiger als jemals zuvor.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Umso wichtiger ist es, dass die Ermittlungen in diesen aktuellen Fällen erfolgreich waren. Ich danke im Namen meiner Fraktion den Sicherheitsbehörden in NRW, auf Bundesebene und in der internationalen Zusammenarbeit. Das war ein voller Erfolg für unseren Rechtsstaat.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Bevor die Russlandfreunde aus der rechten Ecke schreien und unseren Staat schlechtreden: Dies ist ein Beleg für die Handlungsfähigkeit unserer Sicherheitsarchitektur. Wir dürfen uns auf diesem Erfolg aber nicht ausruhen, denn diese Fälle sind systematische Angriffe auf die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie. Sie legen zentrale Schwachstellen offen, und zwar den Schutz unserer kritischen Infrastrukturen.

Ob Stromversorgung, ob Bahnstrecken, Kraftwerke oder Rechenzentren: Unsere moderne Gesellschaft hängt an wenigen Knotenpunkten. Der Schutz dieser Knotenpunkte liegt im Moment in der Verantwortung von Unternehmen mit ehrlicherweise sehr unterschiedlichem Sicherheitsniveau. Das ist fahrlässig, das muss sich ändern. Wir brauchen klare gesetzliche Zuständigkeiten, verbindliche Mindeststandards für Sicherheit, transparente Überprüfungsmöglichkeiten und dort, wo es nötig ist, eine Möglichkeit für den Staat, die Regeln für den Schutz dieser kritischen Infrastrukturen auch wirklich durchzusetzen, und das auch gesetzlich.

Das geplante KRITIS-Dachgesetz im Bund ist dafür zentral. Wir brauchen das ganz dringend, nicht irgendwann, sondern wir brauchen das jetzt, denn es darf doch nicht in der Entscheidung einzelner Unternehmen liegen, inwiefern und wie weitgehend KRITIS geschützt werden. Betreiberverantwortung ohne Kontrolle, ohne Durchgriffsrechte des Staates mag bei einigen Szenarien ausreichen – bei Wasser im Keller oder Ähnlichem –, aber bei allem Respekt für das Verantwortungsbewusstsein unserer Wirtschaft: Das reicht doch nicht mehr, wenn Russland unsere zentralen Lebensadern angreift.

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Marc Lürbke [FDP])

„Alles kann, nichts muss“ ist doch bei allem Respekt der falsche Zugang, wenn es um hybride Bedrohungen und um Krieg gegen uns geht. Kritische Infrastrukturen gehören unter verbindlichen Schutz, denn wenn Bahninfrastruktur, Krankenhäuser oder Rechenzentren zur Zielscheibe werden, ist das nicht mehr nur ein Risiko für einzelne Unternehmen oder Private, es ist ein Risiko für die Sicherheit unserer Demokratie.

Die Gesellschaft und auch die Sicherheitsbehörden müssen endlich beginnen, Sicherheit nicht immer nur als Abwehr, sondern eben auch als Resilienz zu verstehen. Das bedeutet, unsere Strukturen widerstandsfähig zu machen, technisch sowieso, aber eben auch gesellschaftlich. Deshalb gehören zu diesem Schutz auch digitale Bildung und Desinformationsresistenz sowie eine Gesellschaft, die mit Bedrohungen umgehen kann, die Bedrohungen ganz klar benennt, wie wir es heute hier auch tun, ohne in Hysterie zu verfallen, ohne das Vertrauen in den Staat zu verlieren, ohne auf populistische Scheinlösungen von rechts hereinzufallen und ohne in Verdrängung zu fliehen.

Das neue Verfassungsschutzgesetz, das aktuell im Parlament beraten wird, ist vor diesem Hintergrund ein wichtiger Baustein, denn es schafft mehr Sicherheit, mehr Transparenz, mehr Kontrolle und mehr Klarheit. Das stärkt eben nicht nur unsere innere Sicherheit, sondern das Vertrauen in unseren Staat. Genau darauf zielt doch Russlands Strategie: das Vertrauen in Institutionen, in Technik, in demokratische Prozesse zu zerstören. Unsere Antwort muss sein, Vertrauen durch Klarheit, durch Handlungsfähigkeit, durch politische Entschlossenheit zurückzugewinnen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei vielleicht persönliche Sätze sagen, weil ich weiß, dass dieses Thema immer verunsichert, wenn es um Krieg geht. Wir reden nicht gerne über Krieg, und das ist auch total klar, denn das holt uns aus der Komfortzone. Es konfrontiert uns mit einem Realitätsbruch, wenn wir merken, dass ein Netflixdrehbuch plötzlich zum Nachrichtenticker wird.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir hier zeigen: Wir lassen uns nicht einschüchtern; nicht von Taschengeldagenten, nicht von Trollfabriken, nicht von Drohnen über unseren kritischen Infrastrukturen, nicht von hybriden Angriffen auf unser Gemeinwesen. NRW ist wehrhaft. Wir zeigen Haltung. Wir handeln. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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