Dennis Sonne (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Stellen Sie sich vor: Sie kommen in einen Raum voller Menschen. Alle unterhalten sich bestens. Sie bewegen die Hände und scheinen sich gut zu verstehen. Man sieht fröhliche Gesichter und leuchtende Augen. Nur Sie selbst sind nicht beteiligt. Sie können sich nur wundern, wie die Menschen das machen. Denn Sie selbst sind ausgeschlossen. Sie fühlen sich dementsprechend unwohl.
Bei einem Arztbesuch verstehen Sie, geräuschlos mit den Händen gestikulierend, die Ärztin nicht. Sie verlassen die Praxis wieder, ohne dass Sie verstanden wurden und ohne dass Ihnen gut geholfen werden konnte.
Auch beim Stichwort „Fachkräfte“ ist es schwierig. Für viele Gehörlose beginnt der steinige Weg ins Berufsleben schon mit der ersten Bewerbung – ein Prozess, der für sie voller Barrieren steckt, die andere kaum wahrnehmen. Selbst wenn der Einstieg gelingt, setzen sich die Herausforderungen fort: alltägliche Kommunikation, Meetings oder Weiterbildungen bleiben oft unerreichbar, weil die nötige Unterstützung fehlt.
Das ist die Situation von 13.000 gehörlosen Menschen in Nordrhein-Westfalen. Sie sind auf Gebärdensprachdolmetschende angewiesen oder brauchen technische Hilfen oder Schulungen, um gesprochene Sprache zu verstehen. Das alles kostet Geld. Öffentliche Kassen übernehmen aber nicht alles.
Gehörlosen Menschen wird Gehörlosengeld gezahlt. Die Berechtigung dafür ist in Nordrhein-Westfalen seit 1998, wie Frau Kollegin Butschkau erwähnte, festgeschrieben. Damit erkennen wir in Nordrhein-Westfalen schon einmal an, dass gehörlose Menschen einen Mehrbedarf an finanziellen Mitteln haben, um am täglichen Leben so teilzuhaben wie alle anderen auch.
Allerdings wurde das Gehörlosengeld seit 1998 nicht angepasst. Es werden kontinuierlich 77 Euro pro Monat an die berechtigten Menschen gezahlt. Mit diesem Betrag lässt sich pro Monat nicht einmal eine Stunde Gebärdensprachdolmetscherdienst finanzieren. Da tätig zu werden, ist dringend notwendig; dem stimme ich vollkommen zu.
Wir haben in unserem Koalitionsvertrag mit der CDU auf Seite 104 festgeschrieben: Wir wollen den Kreis der Berechtigten erweitern. – Die Genossinnen und Genossen der SPD haben im Dezember 2023 bereits darauf hingewiesen. Ja, wir müssen hier unsere Hausaufgaben machen. Leider hat sich die Haushaltslage, auf die ich seinerzeit hingewiesen habe, seither nicht gebessert.
Es ist gut, dass Sie mit dem Antrag den grundsätzlichen Hinweis gegeben haben. Der Dank gilt aber eigentlich dem Kollegen Herrn Josef Neumann. Er hat als Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Gehörlosen in Wuppertal die Kundgebung vor dem Landtag am vorletzten Samstag mit organisiert.
Wir haben uns schon gewundert: Offensichtlich haben die Sozialdemokrat*innen es über ein Jahr nicht geschafft, einen Antrag zu formulieren und in dieses Parlament einzubringen.
(Thorsten Klute [SPD]: Oh! – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Ernsthaft?)
Dabei geht das in der Opposition doch eigentlich ganz fix: keine Abstimmung mit einem Koalitionspartner – einfach machen. Trotzdem brauchte es erst einen Anstoß durch die Betroffenen vor dem Landtag. Musste Herr Neumann seine eigene Fraktion antreiben? Gut, dass er das gemacht hat!
(Thorsten Klute [SPD]: Moment! Welche Aktionen gab es denn von Ihnen inzwischen? – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Nix hinkriegen und dann so ein Beitrag!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen und sollten eine Reform des Gehörlosengeldes anstoßen. Dazu sind wir auch bereits in der Abstimmung mit dem Ministerium und mit Claudia Middendorf, der Beauftragten der Landesregierung für Menschen mit Behinderung.
Sowohl das Blindengeld als auch das Gehörlosengeld sind in Nordrhein-Westfalen im GHBG, im Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose, geregelt. Das gesamte Gesetz muss dringend novelliert werden.
(Christian Dahm [SPD]: Macht das doch mal! – Thorsten Klute [SPD]: Ihr seid schon seit drei Jahren dran!)
Bei einer möglichen Novellierung des Gesetzes werden auch die Verbände mit am Tisch sitzen. Wir nehmen die Befürchtungen und die Expertise der Verbände nämlich sehr ernst.
Genau wie Josef Neumann bin ich für Verbände im Bereich „Behinderung“ aktiv und halte sie für einen wertvollen und unverzichtbaren Teil der Demokratie. Ob und wie die Haushaltslage eine Reform des Gehörlosengeldes bzw. eine Novellierung des Gesetzes zulässt, werden wir sehen.
Einen Weckruf in Form einer Kundgebung braucht es manchmal. Das gilt ja nicht nur für die SPD-Fraktion, sondern auch für uns in der Koalition. Kundgebungen, bei denen auf wichtige Anliegen aufmerksam gemacht wird, sind gelebte Demokratie.
Ob es den einseitigen bzw. sogar rund anderthalbseitigen Antrag der SPD brauchte, sei dahingestellt. Er ist aber ein wichtiges Zeichen. Immerhin hat sie an diesem fast anderthalb Jahre gefeilt. Der Antrag trifft einen Punkt. Aber – Floskel! – mit einem Nadelstich kann man keine Löcher stopfen. Lassen Sie uns die Arbeit in den Fachhausschüssen aufnehmen und überlegen, wie eine Erneuerung des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose, GHBG, geregelt werden kann.
Liebe Menschen mit Gehörlosigkeit in Nordrhein-Westfalen, wir sehen und hören Ihr Anliegen und verstehen es auch. Wir werden mit Zustimmung dieses Hauses den Antrag der SPD in die Fachhausschüsse überweisen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)