Antje Grothus: „Im Orchester der Demokratie ist der Bürgerrat ein neues Instrument, dessen Klang bereichert“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD und Grünen im Landtag zur Einführung von Bürgerräten

Portrait Antje Grothus

Der Antrag „Lebendige repräsentative Demokratie – mit dem Bürgerrat demokratische Teilhabe stärken“

Antje Grothus (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! 80 zufällig ausgewählte Menschen werden 2026 den ersten NRW-Bürgerrat bilden. Dies ist ein wichtiger Schritt – ein wichtiger Schritt hin zu mehr Instrumenten für eine lebendige Demokratie.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Ich freue mich, dass diese Initiative hier fraktionsübergreifend eingebracht wurde und beschlossen wird. Bürgerräte als beratende Ergänzung zur repräsentativen Demokratie haben nichts mit Parteipolitik zu tun. Es geht darum, für aktive Demokratie zu begeistern und einen weiteren Austauschraum zwischen Parlament und der Bürgerschaft zu schaffen.

Es geht darum, die Lebenswirklichkeiten der Menschen im Land frühzeitig in Entscheidungsprozesse einzubinden. Und das ist – das zeigt auch unser Antrag – unsere Gemeinschaftsaufgabe als Demokratinnen und Demokraten.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Es gibt bereits Bürgerräte, von der kommunalen Ebene bis hin zur Bundesebene. Sie haben gezeigt, dass die beratende, die deliberative Beteiligung die Teilhabe stärken kann. In den bisherigen Bürgerräten konnte und kann nah an der Sache und abseits von polarisierten Positionen miteinander gearbeitet werden.

Besonders in festgefahrenen Debatten kann mit einem Bürgerrat ein vertrauensvoller Raum geschaffen werden, in dem Brücken gebaut und Gräben überwunden werden. So war es zum Beispiel beim Bundesbürgerrat zum Thema „Ernährung“, dessen konstruktive Atmosphäre und fachliches Niveau von Teilnehmenden und demokratischen Politiker*innen gleichermaßen gelobt wurde. Das ist der große Mehrwert von Bürgerräten.

(Beifall von den GRÜNEN und Klaus Voussem [CDU])

Ein Bürgerrat berät uns als Parlament. Er ist kein Ersatz der parlamentarischen Demokratie. Es ist aber Aufgabe von uns Parlamentarier*innen, die Ergebnisse des Bürgerrats hier ernsthaft zu diskutieren. Parlamentsbeschlüsse, die auf Bürgerratsempfehlungen beruhen, genießen meist eine sehr hohe Akzeptanz, da ein Teilhabeprozess vorgelagert war. Hierfür ist es wichtig, dass das Gremium auch die Vielfalt unseres Bundeslandes abbildet. Deswegen formulieren wir im Antrag – ich zitiere–:

„Bei der Auswahl ist sicherzustellen, dass ein repräsentativer Ausschnitt der Bevölkerung“

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Gesellschaft steht da, nicht Bevölkerung!)

„unter Berücksichtigung u.a. von Lebenslagen (z. B. Schichtarbeitende, Alleinerziehende), Diversität und Inklusion zufällig ausgesucht wird.“

Uns ist wichtig: In einem Bürgerrat treffen Lebensrealitäten aufeinander und nicht vorgefertigte Positionen und Parolen. Das ist neu und ein wohltuender, ein inspirierender Impuls für den politischen Prozess.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich war vor meiner Zeit als Landtagsabgeordnete Vertreterin für die Anwohner des Rheinischen Braunkohlereviers in der sogenannten Kohlekommission der Bundesregierung. Diese Kommission war einberufen worden, weil der parteipolitische Diskurs um den Kohleausstieg festgefahren war. Ohne meine Mitarbeit dort würde ich hier jetzt nicht stehen.

In dieser Kommission saßen neben zwei Bürgerinnen überwiegend Verbandsexperten, Interessenvertretungen von Industrie, Umwelt und Gewerkschaften, aber auch politische Vertreterinnen. Das war ganz klar ein anderes Format als ein Bürgerrat, aber diese Kommission war ebenfalls ein beratendes Gremium, das sehr unterschiedliche gesellschaftliche Positionen zusammenbrachte. Das schaffte Akzeptanz für den vorgezogenen Kohleausstieg, aber auch für den Erhalt des Hambacher Waldes.

Im Rückblick auf die Kohlekommission wurde mir aber auch eines klar: Es ist sehr schwer, die Lebenswirklichkeiten der Menschen indirekt zu vertreten. Und deswegen ist es so wichtig, die Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens als Experten für ihr eigenes Leben und ihr eigenes Lebensumfeld in politische Prozesse einzubeziehen.

(Beifall von den GRÜNEN und Thomas Okos [CDU])

Dafür ist das neue Instrument der Bürger*innenräte von hohem Wert.

Heute setzen wir eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um und legen mit den Fraktionen von CDU und SPD den Grundstein für die Einrichtung des ersten Bürgerrats in diesem Bundesland. Ich persönlich muss sagen, dass ich mir sehr gewünscht hätte, die FDP unter diesem Antrag zu sehen, um den demokratischen und interfraktionellen Schulterschluss noch stärker zu verdeutlichen.

Ich freue mich, wenn Sie den kommenden Prozess konstruktiv begleiten. Vielleicht – wer weiß – stimmt Ihre Fraktion bei der Abstimmung doch noch mit einem „Ja“. Mich würde das sehr freuen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei der Einrichtung des Bürgerrats ist klar: Bürgerräte sind für die Landesebene in NRW ein neues Instrument. Daher werden wir anhand dieses Bürgerrats lernen. Wir werden evaluieren, und wir werden optimieren. Ich hoffe, ich bin zuversichtlich, dass dieser der erste von vielen erfolgreichen NRW-Bürgerräten wird.

Im Orchester der Demokratie ist der Bürgerrat ein neues Instrument, dessen Klang bereichert. Bei allen derzeitigen Angriffen auf unsere Demokratie müssen wir deutlich sagen, dass wir niemals zulassen werden, dass dieses großartige und vielstimmige Orchester verstummt. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)