Das Handwerk von morgen heute stärken – Grüne Impulse für den Fachkräftegewinn

200.000 Unternehmen, über eine Million Beschäftigte, 162 Milliarden Euro Umsatz: Das Handwerk in Nordrhein-Westfalen ist nicht nur eine tragende Säule unseres Wirtschaftsstandorts, sondern auch ein Garant für ein zukunftsfestes und innovatives Land.

Es sind Handwerker*innen, die Wärmepumpen installieren, Dächer dämmen, Gebäude digitalisieren und mit innovativen Lösungen lokale Wertschöpfung schaffen. Sie sind zentrale Ateur*innen auf dem Weg in eine klimaneutrale, moderne und sozial gerechte Gesellschaft – und doch steht das Handwerk vielerorts unter Druck: Es mangelt an Fachkräften, fehlende betriebliche Nachfolgen bereiten Sorgen und bürokratische Hürden blockieren Zeit und Energie, die an anderer Stelle gebraucht würden.

Gleichzeitig bestehen Potenziale, die wir gemeinsam mit dem Handwerk heben wollen: Wir wollen mehr Frauen, mehr zugewanderte Menschen und mehr Menschen mit Behinderung für das Handwerk gewinnen. Eine große Chance liegt auch in einem besseren Übergang von Schule und Ausbildung in das Arbeitsleben. Wir brauchen ein Tinder fürs Handwerk. Die Digitalisierung müssen wir nutzen, um Bürokratie abzubauen – weitere Entschlackung von Abläufen sind notwendig, damit Handwerker*innen nicht an den Schreibtisch gefesselt sind. Als Klammer braucht es eine Politik, die das Handwerk nicht nur mitdenkt, sondern als entscheidenden Partner auf Augenhöhe versteht.

Mit diesem Positionspapier geben wir einige wichtige Antworten, wie wir im 21. Jahrhundert das volle Potenzial unseres Handwerks ausschöpfen können.

Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen des Handwerks. Das haben wir als schwarz-grüne Koalition erkannt und gehen entschlossen dagegen vor. Um die Fachkräftesicherung im Handwerk voranzutreiben, wollen wir GRÜNE gezielt neue Ziel-gruppen für das Handwerk erschließen. Wenn wir mehr Frauen, zu-gewanderte Menschen, aber auch Menschen mit Behinderung fürs Handwerk gewinnen, hilft dies den Fachkräftebedarf zu decken.

 

Menschen befähigen – Fachkräftelücke schließen

Das Handwerk der Zukunft ist auch weiblich

Um den Anteil von Frauen in Handwerksberufen, insbesondere in Berufsfeldern mit erheblichen Fachkräfteengpässen, nachhaltig zu erhöhen, ist eine frühzeitige Ansprache junger Frauen in der Schule entscheidend. Schon in der Berufsorientierung und -beratung müssen Geschlechterklischees und klischeehafte Zuordnung von bestimmten Berufen als „Männer-“ beziehungsweise „Frauenberufe“ überwunden werden, damit alle den Beruf ergreifen können, der ihren Interessen entspricht. Der Girls’ Day oder Schülerpraktika bieten Unternehmen eine hervorragende Gelegenheit, frühzeitig

weibliche Talente zu fördern und für handwerkliche Berufe zu begeistern. Weibliche Vorbilder – auch in Handwerksgremien – spielen eine zentrale Rolle. Trotz zahlreicher Fortschritte berichten Frauen im Handwerk weiterhin von Diskriminierung und Sexismus. Dass Berufsschulen neben einer allgemeinen Sensibilisierung Ansprechpartner*innen benennen, die bei Konflikten mit Lehrenden oder Ausbildenden unterstützen, kann einen Beitrag zur Lösung leisten.

Eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Arbeitsleben ist für uns ein zentrales Ziel. Es war daher ein wichtiger Schritt, dass die Meistergründungsprämie familienfreundlicher gestaltet wurde: Frauen, die in der Gründungsphase ein Kind bekommen oder Elterngeld beziehen, können die Fristen für den Abruf von Fördermitteln verlängern. Wenn Handwerkerinnen in einem männerdominierten Gewerk gründen, erhalten sie einen zusätzlichen Bonus. Darüber hinaus sollen selbstständige Frauen in den Wochen vor und nach der Geburt durch Mutterschutzleistungen ebenso abgesichert werden wie angestellte Frauen. Denn mangelnder Mutterschutz für Selbstständige ist in der perspektivischen Berufsplanung für Frauen und für deren Potenzial bei der Unternehmensübernahme häufig ein Grund, den Schritt in die Selbstständigkeit nicht zu gehen. Die neue Bundesregierung muss hier tätig werden.

Das Handwerk der Zukunft lebt Vielfalt

Menschen, die vor Krieg, Gewalt oder Umweltkatastrophen in ihren Heimatländern nach Deutschland und NRW fliehen, bieten ein enormes Potenzial für das Handwerk. Die geringe Anerkennungsquote von ausländischen Abschlüssen ist eines der größten Hemmnisse, warum geflüchtete Menschen nicht schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden. Häufig können notwendige Dokumente nicht vorgelegt werden, was dazu führt, dass dringend benötigte Arbeits- und Fachkräfte auch im Handwerk nicht ankommen. Durch die systematische Erfassung arbeitsmarktrelevanter Erfahrungen und Qualifikationen bei der Erstaufnahme von geflüchteten Menschen können deren Potenziale schnell und effizient genutzt und gezielte Weiterbildungsmaßnahmen angeboten werden. Deshalb erprobt die Landesregierung die frühzeitige Kompetenzerfassung bereits in den Landesunterbringungseinrichtungen. Wir sprechen uns dafür aus, dass Nordrhein-Westfalen sich beim Bund für eine Ausweitung der kompetenzbasierten Anerkennung einsetzen sollte. Ziel ist es, weg von einer Anerkennung auf Basis von Papieren hin zu einem stärker kompetenzbasierten Ansatz zu gehen.

Der zunehmende Rechtsruck in Politik und Gesellschaft, schreckt Fachkräfte aus dem Ausland ab und erschwert die gezielte Anwerbung. Unternehmen und Verbände haben daher deutlich Stellung bezogen. Wir wollen Betriebe bei der Integration und bei der Etablierung einer gelebten Willkommenskultur unterstützen. Gezielte Werbekampagnen, Kooperationen mit internationalen Bildungsinstitutionen und die intensivierte Teilnahme der Betriebe an Fachkräftebörsen, um qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, sind hier wichtige Instrumente.

In Landesbehörden und Betrieben ist die Einführung von Mehrsprachigkeit, insbesondere Englisch notwendig, um Sprachbarrieren abzubauen und die Integration ausländischer Fachkräfte und Geflüchteter zu erleichtern. Gleichzeitig ist es notwendig, gezielt berufsspezifische Sprachkurse anzubieten. Mit den Basissprachkursen fördert das Land hier ein wichtiges Angebot. Vor allem aber müssen die Berufssprachkurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bedarfsgerecht ausgebaut werden, um zugewanderten Menschen eine schnelle Teilhabe an Arbeit und Gesellschaft zu ermöglichen. Wir wollen darüber hinaus Kammern und Betriebe dabei unterstützen, zugewanderte Menschen verstärkt zu fördern und zu qualifizieren. Dafür braucht es Arbeitgeber*innen, die vorangehen und gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Eine Begleitung seitens der Betriebe bei der Integration von zugewanderten Menschen vor und während der Ausbildung ist essenziell, um sie nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen ein schnelles Einleben in ihrem beruflichen Umfeld zu ermöglichen.

Das Handwerk der Zukunft ist inklusiv

Ebenfalls wirkt sich gleich mehrfach positiv aus, wenn das Handwerk mehr Menschen mit Behinderungen gewinnen kann. In Werk-stätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) sind in NRW rund 80.000 Menschen beschäftigt, die ihrem Recht auf Teilhabe an Arbeit, häufig bereits in handwerklichen Tätigkeiten, nachgehen.

Neben der Verbesserung von Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderungen im Arbeitsmarkt, sind gerade die Fragen der Qualifikation von Menschen mit Behinderungen maßgeblich. Fähigkeit und Möglichkeit, einen Beruf auszuüben, hängen viel zu oft von formalen Dingen wie einer abgeschlossenen Ausbildung ab. Menschen mit Behinderungen haben aber teilweise nicht die Möglichkeit, alle Facetten des dualen Ausbildungssystems erfolgreich zu durchlaufen. Daher sollte ihnen und den Betrieben die Möglichkeit einer entsprechend ihren Fähigkeiten ausgerichteten Teilqualifizierung gegeben werden. Denn dies eröffnet Menschen mit Behinderung eine Beschäftigung im sogenannten ersten Arbeitsmarkt und kann Betrieben helfen, Lücken im Arbeits- und Fachkräftesektor zu schließen. Hierzu wollen wir zusammen mit Kammern und Innungen Lösungen in den Ausbildungsordnungen finden.

Generell gilt: Menschen mit Qualifizierungsbedarf muss der Weg in den ersten Arbeitsmarkt geebnet werden. Gezielte Qualifizierungen wirken Lücken in Mangelberufen entgegen, erhöhen die Erwerbstätigkeit und steigern die soziale Teilhabe.

 

Strukturen digitalisieren – Bürokratie abbauen

Das Handwerk der Zukunft ist digital

Gerade kleinere und mittlere Handwerksunternehmen klagen darüber, dass Bürokratie und Vorschriften sie belasten und immer mehr Zeit fressen. Sozialstandards, Arbeits- und Umweltschutz aber auch Berichtspflichten müssen praktikabel in Einklang gebracht werden mit den administrativen Möglichkeiten des Hand-werks, um zu verhindern, dass Projekte verzögert, Investitionen gehemmt und erhebliche Kosten verursacht werden.

Wir Grüne sehen vor allem die Digitalisierung als enorme Chance. Sie ermöglicht eine Effizienzsteigerung, optimiert Prozesse und verbessert die Kundenbindung. Durch die Automatisierung von Arbeitsabläufen und die Analyse von Daten können wertvolle Erkenntnisse gewonnen und Entscheidungen fundierter getroffen werden. Darüber hinaus erleichtert die Digitalisierung die Kommunikation und Kooperation sowohl innerhalb der Betriebe als auch mit Kund*innen sowie Lieferant*innen. Durch den Einsatz digitaler Werkzeuge können handwerkliche Dienstleistungen schneller und präziser erbracht, innovative Lösungen entwickelt und neue Märkte erschlossen werden. Ein besonderer Vorteil liegt in der Vereinfachung komplexer und langwieriger Prozesse, insbesondere bei der Beantragung von Förderprogrammen.

Um eine Erleichterung durch Digitalisierung zu erreichen, ist es wichtig, dass sowohl die Wirtschaft als auch Behörden, Kammern und Institutionen Systeme verwenden, die miteinander kommunizieren können. Das Once-Only Prinzip muss das Ziel sein. Deshalb begrüßen wir die Weiterentwicklung des Wirtschafts-Service-Portal.NRW durch die Landesregierung. Damit werden landesseitig die Voraussetzungen geschaffen, damit Unternehmen ohne Zeitverlust, medienbruchfrei und so unbürokratisch wie möglich mit den Verwaltungen in Kontakt treten und die Verwaltungen schnell und sicher die Daten verarbeiten können.

Das ist ein guter erster Schritt, muss aber überall, wo es möglich ist, über dieses Maß hinaus gehen. Für uns ist klar: Bürokratie-abbau ist mühsame Detailarbeit, der sich der Staat stellen muss. Ohne Kettensägen und reißerische Überschriften.

Bürokratieabbau muss an allen Stellen im Handwerk stattfinden. Daher wollen wir zusammen mit den Kammern und Selbstorganisationen auch die Entbürokratisierung und Kommunikation zwischen diesen und den anhängigen Betrieben verbessern. Uns ist wichtig, die Kammern und Selbstorganisationen in ihrer wichtigen Funktion als Schnittstelle und politische Vertretung des Handwerks zu unterstützen, um Fördermöglichkeiten und politische Entscheidungen noch besser in die Betriebe vermitteln zu können.

 

Tinder fürs Handwerk: Matching zwischen Betrieben und Schüler*innen verbessern

Das Handwerk der Zukunft ist jung

Die Zukunft gehört der jüngeren Generation. Wir denken sie mit. Die Stärken und Potenziale unserer Kinder und Jugendlichen müssen schon in der Schule gefördert werden. Das erleichtert ihnen den Einstieg ins Berufsleben und verbessert ihre beruflichen Perspektiven. Wenn wir den Übergang von Schule in den Beruf besser gestalten, kann das den Fachkräftemangel mindern und die Jugendarbeitslosigkeit senken. Das Übergangssystem “Kein Abschluss ohne Anschluss” (KAoA), Berufsorientierung, Praktika, Ausbildungsplatzvermittlung und berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen: Diese Programme stellen zentrale Bausteine der schulischen Berufsorientierung in NRW dar und haben sich insbesondere in der Ansprache von Jugendlichen mit Unterstützungs-bedarf sowie in der Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben bewährt. Ihre kontinuierliche Förderung ist daher eine zentrale Maßnahme unserer Handwerkspolitik.

Wir wollen das Matching von Ausbildungsinteressierten und Be-trieben weiter verbessern. Wir brauchen ein „Tinder für das Handwerk“. Schließlich geht es bei der Wahl des richtigen Berufes auch um eine lebenslange Partnerschaft. Erfolgreiche Unterstützungsangebote für Betriebe und Jugendliche müssen bedarfsorientiert und passgenau weiterentwickelt werden. So müssen Ausbildungsinteressierte durch noch mehr Praxiszeiten während der Schule verstärkt freiwillige Praktika machen können. Wir müssen den ersten Schritt vor dem zweiten machen: Schüler*innen sollen am besten durch ein besseres Matching und Berufsberatung in den Schulen die passende Ausbildung oder das richtige Studium finden und weniger durch die Berufsberatung in den Berufskollegs. Es braucht zudem multiprofessionelle Teams an den Schulen, die Schüler*innen langfristig und individuell auf ihrem Weg in den Beruf begleiten und fördern, sowie mehr praktischen Werk- und Technikunterricht in allen Schulformen.

Ob eine berufliche oder eine akademische Ausbildung – beide ebnen gleichwertig einen starken Weg in die berufliche Zukunft. Auszubildenden-Wohnheime und die Infrastruktur der Bildungseinrichtungen, wie etwa überbetriebliche Bildungsstätten, müssen attraktiv gemacht und ausgebaut werden. Wir unterstützen die Entwicklung von Campi für berufliche Bildung oder gemeinsame Campi für berufliche und akademische Bildung.

 

Das Handwerk unterstützen – die Gesellschaft stärken

Das Handwerk der Zukunft bleibt verbindend

Das Handwerk ist mehr als eine zentrale Säule unserer Wirtschaft. Das Handwerk ist ein gesellschaftlicher Klebstoff. Es integriert, inkludiert, verbindet. Gerade jetzt, wo der gesellschaftliche Zusammenhalt angegriffen wird wie seit Jahrzehnten nicht mehr, braucht es auch das Handwerk, das vorangeht und verbindet. Deshalb setzen wir uns dafür ein, das Handwerk als zusammenhaltenden Bestandteil unserer Gesellschaft weiter zu stärken. Mit seinen Werten, seiner Tradition und seinem Gemeinschaftssinn leistet es einen unverzichtbaren Beitrag für ein solidarisches Miteinander. Das Handwerk ist in unserer Gesellschaft unabdingbar und für die Bewältigung der wirtschaftlichen Herausforderungen von morgen fundamental. Gemeinsam mit unseren Partner*innen aus dem Handwerk wollen wir die Rahmenbedingungen und Grundvoraus-setzungen verbessern, alte und neue Berufe zukunftsfähig machen und dabei unterstützen, die Innovationskraft des Handwerks voll zu nutzen.

 

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