Wertvolle richterliche Erfahrung und Expertise für die Justiz länger erhalten: Freiwilli­ges Hinausschieben des Ruhestandseintritts von Richterinnen und Richtern bis zum 69. Lebensjahr

Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag

Portrait Dagmar Hanses

I. Ausgangslage

Während die Regelaltersgrenze für Beamtinnen und Beamte sowie Richterinnen und Richter in Nordrhein-Westfalen einheitlich bei 67 Jahren liegt, gehen nach derzeitiger Rechtslage die Möglichkeiten zu ihrer freiwilligen Verlängerung auseinander.

Bei Beamtinnen und Beamten kann auf ihren Antrag der Eintritt in den Ruhestand über die Regelaltersgrenze hinaus bis maximal zur Vollendung des 70. Lebensjahres hinausgescho­ben werden, wenn dies im dienstlichen Interesse liegt.

Bei Richterinnen und Richtern sieht das Gesetz bislang noch keine Möglichkeit zur Verlänge­rung über die Regelaltersgrenze hinaus vor. Vielmehr können lediglich die Richterinnen und Richter, deren persönliche Altersgrenze gegenüber der Regelaltersgrenze von 67 Jahren ab­gesenkt ist (Geburtsjahrgänge bis 1963), einen Antrag auf Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von 67 Jahren stellen. Die Verlängerung ist hier bislang, anders als bei Beamtinnen und Beamten, nicht an ein dienstliches Interesse gebunden und in diesem Sinne „voraussetzungslos“.

Der Gesetzgeber war sich bereits bei Schaffung der gegenwärtigen Regelung im Jahr 2015 bewusst, dass das Hinausschieben des Ruhestandseintritts die Möglichkeit bietet, „weiter auf die Erfahrungen lebensälterer Richterinnen und Richter zurückgreifen zu können und im Inte­resse der Funktionsfähigkeit der Justiz den Bedürfnissen einer länger aktiven Generation von Richterinnen und Richtern Rechnung zu tragen“ (Gesetzesbegründung, LT-Drs. 16/9520, S. 107). Die Möglichkeit einer freiwilligen Verlängerung über die Regelaltersgrenze von 67 Jah­ren hinaus wurde jedoch nicht vorgesehen. Hintergrund war seinerzeit die Befürchtung, dass dies Neueinstellungen und Beförderungen zu stark verzögern und mit dem „Interesse an einer zügigen Verbesserung der Altersstruktur der Justiz kollidieren“ könne (LT-Drs. 16/9520, S. 107).

Die Regelung bedarf zehn Jahre nach ihrer Einführung einer aktualisierten Bewertung und Anpassung:

Die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung führt zu einer sachgerechten Flexibilisierung der Altersgrenzen für Richterinnen und Richter. Sie ermöglicht, die wertvolle Expertise und Be­rufserfahrung lebensälterer, aber weiterhin leistungsfähiger und hochmotivierter Richterinnen und Richter für die Justiz zu erhalten und nutzbar zu machen. Auf diese Ressource sollte die Justiz nicht verzichten. In den nächsten Jahren werden auch in Nordrhein-Westfalen – wenn­gleich in deutlich geringerem Umfang als in den östlichen Bundesländern – die Pensionie­rungszahlen merklich ansteigen, so dass sich die Einstellungsmöglichkeiten für den richterli­chen Nachwuchs nochmals verbessern werden. Angesichts zurückgehender Absolventenzah­len im Bereich der Rechtswissenschaften steigen damit aber zugleich auch die Herausforde­rungen für das Land, richterliches Personal in erforderlichem Umfang zu gewinnen. Vor dem Hintergrund einer weiter steigenden Lebenserwartung führt die Verlängerungsmöglichkeit ins­gesamt zur Stärkung und Stabilität der Justiz in einem sich wandelnden gesellschaftlichen Umfeld. Die Verlängerungsoption trägt zudem entsprechenden Wünschen aus der Richter­schaft Rechnung und erhöht – als freiwillige Möglichkeit – zugleich die Attraktivität des Rich­terberufs.

Die bei der Neuregelung im Jahr 2015 geäußerten Befürchtungen haben sich dagegen nicht bestätigt. Schon die derzeit bestehende, beschränkte Verlängerungsmöglichkeit bis zur Re­gelaltersgrenze von 67 Jahren (bei Jahrgängen bis 1963) wird nicht in so hohem Maße wahr­genommen, dass die Einstellungsmöglichkeiten für den richterlichen Nachwuchs damit spür­bar beeinträchtigt wären. In den Jahren 2016 bis 2024 haben durchschnittlich nur 19 Prozent der in den Ruhestand getretenen Richterinnen und Richter – in unterschiedlichem Umfang – von der Verlängerungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Dass eine (begrenzte) Verlängerungs­möglichkeit über die Regelaltersgrenze hinaus eine ausgewogene Altersstruktur der Justiz grundsätzlich gefährden könnte, ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.

In der Summe sprechen daher heute die überwiegenden Argumente dafür, den lebensälteren Richterinnen und Richtern des Landes Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit zu geben, freiwillig auch über das vollendete 67. Lebensjahr hinaus für einen begrenzten Zeitraum im Dienst zu bleiben. Um den genannten Belangen Rechnung zu tragen, erscheint es dabei angemessen, die Regelaltersgrenze von 67 Jahren unangetastet zu lassen und zugleich das freiwillige Hin­ausschieben der Ruhestandsgrenze bis zum 69. Lebensjahr auf Antrag zu ermöglichen. In­zwischen haben bereits sieben Bundesländer ein freiwilliges Hinausschieben des Ruhe­standseintritts ihrer Richterinnen und Richter über die Regelaltersgrenze hinaus ermöglicht – zum Teil bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres. Die Hinausschiebungstatbestände in den anderen Ländern machen die Verlängerungsmöglichkeit überwiegend von dem Vorliegen ei­nes dienstlichen Interesses abhängig (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen) oder verlangen jedenfalls, dass der Verlängerung keine zwingenden dienstlichen Gründe ent­gegenstehen (Bremen, Hessen, Niedersachsen). Um die Belange der Nutzung der Arbeitskraft lebensälterer, aber gleichwohl hochmotivierter und leistungsfähiger Richterinnen und Richter einerseits und die Belange der Nachwuchsförderung andererseits in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, sollte – auch unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit der richter­lichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) – geprüft werden, ob ein vergleichbares Korrektiv auch zur Voraussetzung für die Hinausschiebung des Ruhestands von Richterinnen und Rich­tern in Nordrhein-Westfalen gemacht werden sollte.

II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest,

  • dass die Berufserfahrung und Expertise lebensälterer Richterinnen und Richter für die Justiz und im Interesse der Rechtschutzsuchenden besser als bislang genutzt und das Hinausschieben des Ruhestands über die Regelaltersgrenze von 67 Jahren hinaus er­möglicht werden sollte.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • einen Entwurf für eine gesetzliche Grundlage einzubringen, die es Richterinnen und Richtern künftig ermöglicht, den Ruhestandseintritt über die Regelaltersgrenze von 67 Jahren hinaus auf Antrag freiwillig für einen begrenzten Zeitraum hinauszuschieben. In diesem Zusammenhang sollte geprüft werden, ob die Verlängerungsmöglichkeit – wie in anderen Ländern – vom Vorliegen eines dienstlichen Interesses oder dem Nicht-Entge­genstehen zwingender dienstlicher Gründe abhängig gemacht werden sollte. Der Ent­wurf soll gegebenenfalls auch erforderliche Übergangsregelungen enthalten.