Schulrechtsänderungsgesetz umfänglich verfassungskonform ändern

Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN zum 16. Schulrechtsänderungsgesetz

I. Ausgangslage

Der von der Landesregierung eingereichte Gesetzentwurf für ein 16. Schulrechtsänderungsgesetz wurde in der Anhörung des Schulausschusses von verschiedener Seite deutlich kriti­siert. Vorgesehene Änderungen sind entweder als nicht ausreichend sachlich begründet be­funden worden bzw. als nicht weitgehend oder zu vage formuliert. Damit werden neue Fra­gen aufgeworfen. Vor allem wurde kritisiert, dass der Gesetzentwurf den geforderten drin­genden Regelungsbedarf in verschiedenen Themen wie z.B. zum Ganztag ignoriert.

Zudem wurde in einem Gutachten (Information 17/355), das vom Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags zum Thema „Rechtliche Anforderungen an den di­gitalen (Distanz-)Unterricht von Schulen“ in Auftrag gegeben wurde, jüngst festgestellt, dass der Gesetzentwurf die dringende Frage der digitalen Ausstattung nicht regelt und kommt zum Fazit: „Der vorliegende Entwurf zum 16. Schulrechtsänderungsgesetz […] ist daher verfassungsrechtlich zu beanstanden.“

Laut Landesregierung soll der vorliegende Gesetzesentwurf Schulen Freiheiten eröffnen, aber Freiheiten ohne einen rechtssicheren Rahmen, bergen mehr Risiken – auch zur Ver­stärkung von Bildungsungerechtigkeiten – als Chancen für alle am Schulleben Beteiligten. Rechtssicherheit und vordefinierte Standards sind nötig, um Handlungssicherheit und Ver­lässlichkeit für das Schulleben und die Schulentwicklung zu ermöglichen.

II. Unzureichende Änderungen

Im Gesetzentwurf werden einige Änderungen vorgeschlagen, die auf erhebliche Kritik stoßen.

In Artikel 1 Ziffer 2 werden die Bildungs- und Erziehungsziele des §2 SchulG um die europäi­sche Identität erweitert. In der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass die Änderung an falscher Stelle erfolgt und angesichts einer globalisierten Welt in dieser Form „etwas aus der Zeit gefallen ist“. Aus dem Expertenkreis wurde ein konkreter Vorschlag unterbreitet, wie das verständliche Anliegen sinnvoller und zielführender geregelt werden könnte: In §2 Absatz 2 soll am Ende unter Nummer 2 die Formulierung geändert werden in: „zur globalen Völkergemeinschaft, zur Ausprägung einer europäischen Identität und zur Friedensgesin­nung“ Und in Absatz 6 Nummer 10 ist zu ergänzen: „10. durch Kenntnisse über den europäi­schen Integrationsprozess die Bedeutung eines geeinten Europas im Alltag der Menschen wertzuschätzen.“

Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Formulierungen zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule nicht zeitgemäß sind. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag sollte darauf ausge­richtet sein, dass Kinder zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern gebildet und erzogen werden, die sich mit den Grundwerten der Demokratie identifizieren und sie weitergeben können. Men­schenrechte, Demokratie, Solidarität, Gerechtigkeit müssen in den Mittelpunkt des Bildungs-und Erziehungsauftrags gestellt werden sowie Kompetenzen zur Mitwirkung und Gestaltung einer demokratischen, auf Gemeinsinn hin orientieren Gesellschaft vermittelt werden.

In Ziffer 26 wird die Beteiligung der Stadt- bzw. Kreisschulpflegschaft und der örtlichen Schü­lervertretung in den Schulausschüssen lediglich optional eingeführt. Das ist kein substantiel­ler Fortschritt, sondern vielmehr ein Placebo und bleibt hinter den berechtigten Erwartungen deutlich zurück, die eine verbindliche Beteiligung der Eltern sowie Schülerinnen und Schüler forderten.

In Ziffer 27 wird die Übertragung schulaufsichtlicher Aufgaben erweitert. Dabei wird weder genau geklärt, welche Aufgaben nach welchen Kriterien mit welchen schulaufsichtlichen Be­fugnissen übertragen werden, noch wie die zusätzlichen Kosten der Ausstattung für die Auf­gabenerfüllung bei den Kommunen ausgeglichen werden sollen.

In Ziffer 28 wird dem Ministerium die Möglichkeit eingeräumt, weiter in die staatlichen Schul­ämter einzugreifen. Die Kommunalen Spitzenverbände haben zu Recht protestiert, dass diese unbestimmte Eingriffsmöglichkeit im Vorfeld nicht gemeinsam erörtert wurde und Aus­gestaltung nicht absehbar ist. Damit wir die bisherige Praxis zur Gestaltung der staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft ignoriert und konterkariert.

In den Ziffern 32 und 33 wird der Begriff „Schule für Kranke“ in „Klinikschule“ geändert. Hier fehlte ein Dialog mit den betroffenen Schulen und bewirkt eine Engführung, die dem Kompe­tenzspektrum der Schulen nicht entspricht. Die gewählte neue Formulierung stößt auf Kritik, weil sie zu einer in den siebziger Jahren überwundenen Formulierung zurückführt. Die erwei­terten Optionen zur prä- und poststationären Betreuung von Kindern und Jugendlichen wie auch im Hausunterricht werden damit ausgeblendet, obwohl lange um diese Öffnungen ge­rungen wurde.

III. Defizite

Im Gesetzentwurf werden lange erwartete und dringend notwendige Regelungsbedarfe außer Acht gelassen.

Das betrifft einerseits die seit langem geforderte Änderung beim Einschulungsstichtag in §35 SchulG. Hier sollte eine Option eingeräumt werden, dass bei Kindern, die zwischen dem 1. Juli (dem alten Stichtag) und dem 30.September (dem aktuellen Stichtag) ihr sechstes Le­bensjahr vollenden, die Eltern die Wahlfreiheit erhalten, ihr Kind für ein Jahr zurückstellen zu können, wie es auch die Schulgesetze in anderen Bundesländern vorsehen.

Auch der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz aufwachsend ab 2026 wird in diesem Entwurf außer Acht gelassen und die Kommunen somit im Stich gelassen.

Gravierend ist zudem die ausgebliebene Regelung bei der digitalen Ausstattung. Das betrifft sowohl die Standardsetzung bei der digitalen Ausstattung und Infrastruktur wie auch die Fra­gen des Supports und der Zuständigkeit beim Datenschutz. Hier haben die Kommunalen Spitzenverbände den Handlungsbedarf deutlich eingefordert.

Das unterstreicht auch die aktuelle Ausarbeitung des Parlamentarischen Gutachterdienstes. Weder wird im Entwurf zum 16. Schulrechtsänderungsgesetz die erforderli­che Hardware in die Lernmittelfreiheit einbezogen, noch wird eine eventuelle Ausstattungspflicht der Eltern rechtlich geklärt, nach der die Eltern ihrem Kind eine Grundausstattung finanzieren müssen (geregelt in § 41 Abs. 1 S. 2 SchulG NRW), um einen regulären Schulbesuch zu ermöglichen. Es muss zudem laut Gutachter si­chergestellt sein, dass den Eltern die Anschaffung entsprechender digitaler Geräte und die Bereitstellung des notwendigen Internetanschlusses überhaupt zumutbar ist.

Die Gutachter betonen zudem: „Dabei ist verfassungsrechtlich zwingend ein Ausstattungsanspruch für Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwächeren Familien, insbesondere solchen im Grundleistungsbezug nach SGB II, SGB XII, AsylbLG (und ggf. § 6b BKGG) vorzusehen. Dies ist gegenwärtig nicht der Fall.“ Sie kommen zu dem Schluss, dass der vorliegende Entwurf zum 16. Schulrechtsänderungsgesetz verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Denn: Für Schülerinnen und Schüler, deren Eltern Grundsicherungsleistungen nach SGB II, SGB XII, AsylbLG erhalten, muss ein Ausstattungsanspruch gegenüber dem Schulträger im Schulgesetz verankert werden.“1

Eine entsprechende gesetzliche Regelung würde zwingend eine Konnexitätsfolgenabschätzung erfordern. Der Entwurf zum 16. Schulrechtsänderungsgesetz verletzt die Teilhabegerechtigkeit gerade von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien. Die unterbliebene Regelung führt im Urteil der Gutachter in Bezug auf „Rechtliche Anforde­rungen an den digitalen (Distanz-)Unterricht von Schulen“ dazu, dass der vorliegende Ge­setzentwurf „verfassungsrechtlich beanstandet“ werden muss.

III. Die Landesregierung wird aufgefordert,

  • den Gesetzentwurf zum 16. Schulrechtsänderungsgesetz zurückzuziehen,
  • umgehend mit den Kommunalen Spitzenverbänden in Gespräche einzutreten, um verfassungskonforme Regelungen zur digitalen Ausstattung zu vereinbaren,
  • die Konnexitätsfolgenabschätzung vorzunehmen und
  • unter Berücksichtigung der Ergebnisse auch der Anhörung des Schulausschusses am 18.01.2022 einen neuen Gesetzentwurf für ein 16. Schulrechtsänderungsgesetz zu erarbeiten.