Digitale Möglichkeiten nutzen – Die Landwirtschaft dauerhaft und nachhaltig entlasten

Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag

Portrait Norwich Rüße

I. Ausgangslage

Bürokratie ist ein zentrales Instrument, um staatliche und wirtschaftliche Prozesse zu struktu­rieren. Regeln und Vorschriften sind notwendig, um Rechtssicherheit und die Einhaltung von Mindeststandards zu gewährleisten.

Gleichwohl ist es in den vergangenen Jahren zu einer sukzessiven Zunahme von Gesetzen, Verordnungen und Normen gekommen, sodass bürokratische Prozesse viele Unternehmen vor wachsende Herausforderungen stellen. Nicht zuletzt belastet diese Entwicklung auch den Staat selbst, da der immer höhere Verwaltungsaufwand einerseits durch den Ausbau der Ver­waltungsstrukturen höhere Kosten bedeutet. Andererseits wird es im Zuge der demographi­schen Entwicklung zunehmend zu einer Herausforderung, die für die Verwaltungsprozesse notwendige Anzahl an Verwaltungsfachkräften einzustellen.

Vor diesem Hintergrund ist die Vereinfachung bürokratischer Prozesse ein erklärtes Ziel der schwarz-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen. Bei der Reduzierung der Bürokratie geht es, um eine gute Balance zwischen notwendiger Regulierung und überbordender Verwaltung. Stu­dien belegen, dass in diesem Kontext nicht ausschließlich der Abbau der Regulierungsdichte in den Blick genommen werden muss, sondern auch die Qualität der Verwaltungsprozesse. Denn dies ist entscheidend dafür, ob regulatorische Vorgaben des Staates negative Auswir­kungen auf die wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen haben.1

Eine Branche, die besonders von bürokratischen Regelungen betroffen ist, ist die Landwirt­schaft. Insbesondere die mehrfache und in Teilen unnötigen Dokumentations- und Aufzeich­nungspflichten können Betriebe daran hindern, ihre eigentliche Tätigkeit, die Erzeugung von Nahrungsmitteln, auszuüben und können zu gesteigerten psychischen Belastungen, allen vo­ran Stress, führen. Es entstehen Kosten durch Opportunitäts- sowie indirekte Folgekosten, wie etwa die oftmals notwendige externe Beratung. Ebenso kann es zu einem nicht unerheblichen Anstieg der ohnehin schon überdurchschnittlichen Wochenarbeitszeiten kommen.

Obwohl alle landwirtschaftlichen Betriebsstrukturen von diesen Auflagen und Dokumentations­pflichten betroffen sind, belasten sie kleinere und mittlere Betriebe sowie Nebenerwerbsbetriebe aufgrund ihrer Struktur überpropotential. Der hohe Verwaltungsaufwand und die damit verbundenen Kosten führen insbesondere bei diesen Betrieben häufig zu Überlastungen und letztlich zu Betriebsaufgaben.

Vor diesem Hintergrund wird die Dringlichkeit eines Paradigmenwechsels in der Bürokratie und den Verwaltungsstrukturen für die Landwirtschaft ersichtlich, um zukunftsorientierte, pra­xistaugliche und zielführende Prozesse aufzubauen. Hierbei darf es nicht zur Schwächung oder dem Abbau von Vorgaben und Standards in den Bereichen des Natur-, Klima- oder Tier­schutzes kommen. Der Fokus muss klar auf effizienten Vorgängen liegen, die eine natur- und umweltgerechte Landwirtschaft sicherstellen, ohne die landwirtschaftlichen Betriebe zu über­belasten.

Dieser Herausforderung möchte die Koalition aus CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN u.a. mit der Möglichkeit der Weiterentwicklung der bestehenden Agrarförderdatenbank oder eine weiteren in der Agrarverwaltung bereits genutzten Datenbank zu einer zentralen Erfassungs­datenbank auf Landesebene sowie der Anpassung von Aufzeichnungs- und Meldefristen be­gegnen. Landwirtinnen und Landwirte müssen zum Erfüllen ihrer Meldepflichten, beim Stellen von Anträgen o.ä. verschiedene Betriebskerndaten an eine Vielzahl von Datenbanken, Platt­formen und Behörden übermitteln. Die oftmals mehrfache Eingabe dieser Daten führt zu Dop­pelarbeit in den Betrieben, die zeitaufwändig ist und die Wahrscheinlichkeit von Fehlern er­höht.

Eine weitere bürokratische Hürde für Landwirtinnen und Landwirte stellt die Genauigkeit der numerischen Erfassung dar. So werden die Flächengrößen im ELAN-Programm mit vier Nach-kommastellen erfasst. Falls es in den Flächenanträgen zu Abweichungen zu den Satellitenbil­dern durch Ungenauigkeiten kommt, werden diese bereits im Quadratmeterbereich festge­stellt. Den Landwirtinnen und Landwirten wird dementsprechend eine Beweispflicht in Form einer Anhörung auferlegt, in der sie bereits diese minimalen Abweichungen (1 – 9 m2) nach­weisen müssen. Derartig geringe Abweichungstoleranzen sind in der landwirtschaftlichen Pra­xis kaum einzuhalten, denn quadratmetergenaues Pflügen oder Säen ist quasi unmöglich. Gleichzeitig steht ein möglicher finanziellen Schaden bei solchen minimalen Abweichungen in keinem Verhältnis zu den entstehenden Verwaltungskosten. Wir möchten daher, dass bei der Flächenantragsstellung zukünftig die Flächeneingabegröße auf maximal zwei Nachkommas-tellen begrenzt wird. Dies entlastet sowohl die Landwirtschaft als auch die Kontrollbehörden, die dann weniger Abweichungen feststellen und bearbeiten müssten.

Die Eingabe von Daten in Meldedatenbanken ist oftmals mit einer vergleichsweisen kurzen Frist verbunden, die praktisch oftmals kaum zu erfüllen ist und den Arbeitsdruck auf den Be­trieben unnötig erhöht.

Die Vielzahl an Fristen sowie die praxisuntaugliche Gestaltung erschweren die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte, sodass sie unnötig viel Zeit am Schreibtisch verbringen. Dem­entsprechend sind die Praxistauglichkeit und nach Möglichkeit die Vereinheitlichung der Mel­defristen in NRW, jedoch auch auf EU- und Bundesebene, sinnvoll. Hierbei muss die Umset­zung von EU-Recht effektiv, bürokratiearm und im Sinne des europäischen Binnenmarktes erfolgen.

Letztlich erfordert der Bürokratieabbau in der Landwirtschaft einen durchdachten Ansatz der Politik, um die Verwaltung sowie die betroffenen Landwirtinnen und Landwirte unter Einhaltung der gesetzlichen Vorhaben gleichermaßen einzubinden. Ein gezielter Bürokratieabbau kann nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe stärken, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zur ländlichen Entwicklung und zur Erhaltung der Landwirtschaft als zentrale Säule unserer Gesellschaft.

Alle diese Maßnahmen müssen mit der Prüfung effizienter Verwaltungsprozesse und dem Ausbau einer qualitativ hochwertigen und schnellen Verwaltung einhergehen. Entlang dieser Anforderungen sollten die entsprechenden Verwaltungsbehörden, allen voran die Landwirt­schaftskammer NRW, Prozessevaluationen vorantreiben und die Ergebnisse zeitnah zum Um­bau der Verwaltungsstrukturen nutzen.

Vor diesen Hintergründen beauftragen die Fraktionen von CDU und Bündnis 90/ DIE GRÜNEN die Landesregierung mit der Umsetzung von ersten Entbürokratisierungsmaßnahmen und Prozessoptimierungen im Bereich der Landwirtschaftsverwaltung NRW.

II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest,

–           dass die Land- und Forstwirtschaft stark durch Dokumentationspflichten belastet sind und dringend Entlastungen benötigen.

–           dass die Abschaffung der Kontrollen im Rahmen der EU-Agrarförderung für kleine Be­triebe bis zehn Hektar einen wichtigen Schritt für die Entlastung der Landwirtschaft und der Agrarverwaltung darstellt.

–           dass in den letzten Jahren zusätzliche Regelungen die Dokumentationspflichten ausge­weitet und teilweise zu Doppelmeldungen geführt haben. Durch eine optimierte Doku­mentationsstruktur muss die Bürokratie effizienter gestaltet, vereinfacht und auf ein Min­destmaß reduziert werden – ohne bestehende Standards abzusenken.

–           dass Landwirtinnen und Landwirte ihre Arbeitszeit vorwiegend in die Bewirtschaftung ihrer Betriebe investieren sollten und der Aufwand für bürokratischen Auflagen und Hür­den auf ein notwendiges Maß zu reduzieren ist. Diese Belastung trifft kleinere und mitt­lere Betriebe aufgrund ihrer Struktur überproportional.

–           dass Verfahren zu vereinfachen, effizienter zu gestalten und zu verbessern sind, damit etwaige Probleme punktgenau bei den Verursachern abgestellt und nicht darüber hinaus weitere Betriebe mit Kosten und Verwaltungsaufwand belastet werden.

–           dass Verwaltungsprozesse ständig weiterentwickelt und an neue Anforderungen ange­passt werden müssen, um sowohl ineffiziente Strukturen zu vermeiden als auch prakti­kable Lösungen zu finden.

–           dass die bereits umfassende Nutzung von Daten aus der EU-Agrarförderung für weitere Dokumentationspflichten herangezogen werden sollen.

–           dass es unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus nicht zur Schwächung oder zum Abbau von Vorgaben und Standards in den Bereichen des Natur-, Klima- oder Tierschut­zes kommen darf.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung, im Rahmen vorhandener Mittel,

–           die bestehende Agrarförderdatenbank oder eine weitere in der Agrarverwaltung bereits genutzte Datenbank über die bereits weitreichende Nutzung (z.B. in der Agrarstatistik) hinaus, möglichst zu einer zentralen Erfassungsdatenbank auf Landesebene weiterzu­entwickeln. In dieser sollen möglichst alle behördlich notwendigen Daten gesammelt und per Einverständniserklärung an die einzelnen Meldedatenbanken und Plattformen über­mittelt werden können, sodass notwendige Kerndaten nur einmal erfasst werden müs­sen.

–           eine Schnittstelle zu schaffen, dass mit Einverständnis der landwirtschaftlichen Betriebe, die behördlich vorliegenden ELAN-Daten an die notwendigen Meldestellen weitergeleitet werden.

–           dass zukünftig möglichst auch Öko-Kontrollstellen aus dem Datenpool einer solchen zentralen Erfassungsdatenbank Meldedaten erhalten können.

–           regelmäßig Verwaltungsstrukturen zu evaluieren, um Optimierungspotenziale in Verwal­tungsabläufen zu identifizieren. Der Kostenaufwand zur Datenerhebung und Datenbe­reitstellung soll dabei gesenkt werden.

–           im Rahmen der aktuellen Novellierung des Agrarstatistikgesetzes die Neukonzeption der Bodennutzungshaupterhebung zu unterstützen, die durch Nutzung vorliegender Verwal­tungsdaten zu einer deutlichen Entlastung der Berichtspflichtigen führt.

–           zu prüfen inwieweit im Landesrecht die Fristen zur Erfüllung von Aufzeichnungspflichten, z. B. bei Viehbestandserhebungen (auch Viehbestandsveränderungen) oder im Dünge­recht, flexibler an die Praxis angeglichen werden können.

–           auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass die Aufzeichnungspflicht in der Wirtschafts-düngernachweisverordnung NRW von einmal im Monat auf einmal im Quartal geändert werden kann.

–           sich dafür einzusetzen, die Frist zur Dokumentation von erfolgten Düngemaßnahmen so zu gestalten, dass Ergebnisse der Untersuchung von Düngemittelbeprobungen in die Dokumentationsverpflichtung einbezogen werden können.

–           sich auf Bundesebene für praxistaugliche und einheitliche Meldefristen zur Erfüllung von Aufzeichnungspflichten einzusetzen. Bei der Umsetzung von EU-Recht dafür Sorge zu tragen, dass sie effektiv, bürokratiearm und im Sinne eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes erfolgt.

–           sich auf EU- und Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Angabe von Flächen- und Teilflächengrößen im ELAN-Flächenantrag von vier auf maximal zwei Nachkommastel-len verringert wird.

–           Um Erleichterungen für kleine Direktvermarktungsbetriebe im Bezug auf die offene La­denkasse zu schaffen, soll u. a. die Einführung digitaler Kassenbuchsysteme als Option geprüft werden. Zu prüfen wäre zudem eine Befreiung der Kassenbuchpflicht für Be­triebe mit einem Jahresumsatz unter 50.000 Euro.

 

1 https://www.diw.de/de/diw_01.c.882862.de/verwaltungsqualitaet_bremst_wachstum_von_unterneh-men_eher_aus_als_regulierungsdichte.html