Berlin/Bonn-Gesetz im Interesse von Bund, Land und Region nachhaltig realisieren: die Bundesstadt Bonn als Regierungs- und UN-Standort stärken

Gemeinsamer Antrag aller Fraktionen

Ausgangslage

Am 20. Juni 1991 fasste der Deutsche Bundestag den Hauptstadtbeschluss zur „Vollendung der Einheit Deutschlands“. Prägend für den Beschluss war der inhaltlich doppelte Charakter der Antwort auf die „Hauptstadtfrage“: Kein Komplettumzug von Bonn nach Berlin, sondern vielmehr eine Aufteilung von Aufgaben und damit verbundenen Arbeitsplätzen für die Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler. Zur Bekräftigung dieser historischen politischen Entscheidung wurde 1994 mit dem „Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands“ (Berlin/Bonn-Gesetz) die Verlagerung der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesregierung in die Bundeshauptstadt Berlin sowie die Wahrnehmung von Regierungstätigkeiten in Berlin und Bonn in geltendes Recht umgesetzt. Das Berlin/Bonn-Gesetz sah und sieht folglich eine „dauerhafte und faire Arbeitsteilung“ zwischen Bundeshaupt- und Bundesstadt vor:
Alle Bundesministerien sollen in beiden Städten vertreten sein, jeweils mit einem Erst- bzw. Zweitsitz (§ 4 Abs. 1, 3).
„Die Entscheidungen […] sollen so gestaltet werden, dass insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt.“ (§ 4 Abs. 4)
„Erhalt und Förderung politischer Funktionen in der Bundesstadt Bonn in folgenden Politikbereichen: Bildung und Wissenschaft, Kultur, Forschung und Technologie, Telekommunikation, Umwelt und Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen sowie Verteidigung“ (§ 1 Abs. 2).
Die genannten Politikbereiche spiegeln sich auch in dem mit dem Gesetz vereinbarten Ausgleich für die Bonner Region wider, der „die Folgen des Verlustes des Parlamentssitzes und des Regierungssitzes für die Region Bonn“ durch „die Übernahme und Ansiedlung neuer Funktionen und Institutionen“ ausgleichen sollte. In § 1 Abs. 2 der Vereinbarung über die Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn vom 29. Juni 1994 heißt es:
„Neben der Verlagerung von Bundeseinrichtungen nach Bonn soll der Ausgleich insbesondere in folgenden Bereichen realisiert werden:
Bonn als Wissenschaftsstandort,
Bonn als Kulturstandort,
Bonn als Standort für Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen,
Entwicklung Bonns zu einer Region mit zukunftsorientierter Wirtschaftsstruktur.“
22 Jahre nach seiner Verabschiedung ist das Berlin/Bonn-Gesetz unverändert in Kraft. Die Aufteilung der Bundesregierung auf zwei Standorte hat sich bewährt und funktioniert. Die bisherigen Antworten auf parlamentarische Anfragen sowie die vom Bundesministerium für Finanzen erstellten Teilungskostenberichte zeigen, dass es keine Erschwernisse bei der Zusammenarbeit zwischen den beiden Regierungsstandorten gibt. Die teilungsbedingten Aufwendungen sinken kontinuierlich und haben laut dem aktuellen Teilungskostenbericht 2015 mit 7,47 Mio. Euro einen neuen Tiefstand erreicht, die Einsparungen durch die Nähe Bonns zu Brüssel und den Bevölkerungsschwerpunkten Deutschlands nicht gegengerechnet. Sie stehen in einem rentablen Verhältnis zu der effizient entwickelten Funktionalität und erheblich höheren Kosten, die für einen Komplettumzug nach Berlin aufgebracht werden müssten – vor allem auch dann, wenn man beachtet, dass mit einem weiteren Umzug ein weiterer Bonn-Ausgleich verbunden wäre. Das gilt in finanzieller Sicht (beim ersten Umzug von ca. einem Drittel der ministeriellen Arbeitsplätze lag der Bonn-Ausgleich bei 1,43 Mrd. Euro) wie auch für weitere Umzüge von Bundesoberbehörden nach Bonn.
Auch der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD bekennt sich zur Existenz zweier bundespolitischer Zentren und lässt keinen Raum für Interpretationen; in ihm heißt es unmissverständlich: „Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz. Bonn bleibt das zweite bundespolitische Zentrum.“
Im deutlichen Widerspruch hierzu steht allerdings, dass die gesetzlichen Bestimmungen nur teilweise eingehalten werden und sich damit die Organisation der Bundesregierung in einem nicht gesetzeskonformen Zustand befindet:
Seit 2008 wird die Vorschrift, wonach die Mehrzahl der ministeriellen Arbeitsplätze in Bonn angesiedelt sein soll, nicht mehr eingehalten.
Derzeit sind bereits rund 64 Prozent der etwa 18.000 Dienstposten in Bundesministerien in Berlin angesiedelt.
Die Mitglieder des Deutschen Bundestages trafen die Entscheidung für Berlin als Bundeshauptstadt nach einer kontroversen Debatte und mit der knappen Mehrheit von 338 zu 320 Stimmen. Bei dieser Entscheidung war der festgeschriebene unbefristete Status Bonns in der Bundesrepublik Deutschland ein ausschlaggebender Faktor und damit Geschäftsgrundlage des Beschlusses. Viele Abgeordnete konnten nur so dem Beschluss zustimmen, er hätte sonst keine Mehrheit gefunden. Ein Entzug der Geschäftsgrundlage durch einen Komplettumzug wäre ein absoluter Vertrauensbruch in die Verlässlichkeit von gesetzlichen Festlegungen und politischen Zusagen sowie treuwidriges Verhalten des Bundes gegenüber der Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler und den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die politische Behandlung des Themas der Aufgabenteilung zwischen Berlin und Bonn ist daher auch eine Frage der Verlässlichkeit und der Glaubwürdigkeit der politisch Handelnden.

Der Landtag stellt fest:

Die Folgen des Verlustes von Parlaments- und Regierungssitz im damals bestimmten Ausmaß wurden erfolgreich durch Übernahme neuer Funktionen, Ansiedlungen neuer Institutionen und durch sonstige Hilfestellungen ausgeglichen. Bonn und die Region haben sich als zweites politisches Zentrum bewährt und in dieser Funktion an Profil und Renommee gewonnen: eben sowohl infolge des Ausgleichs als auch – damit maßgeblich verbunden – infolge der eng vernetzten Strukturen, die sich auf der Grundlage des Berlin/Bonn-Gesetzes und der Ausgleichsleistungen ergeben haben.
Dieser Zusammenhang gilt insbesondere mit Blick auf den ersten Dienstsitz der Ministerien für Bildung und Forschung (BMBF), für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), für Gesundheit (BMG) sowie für Verteidigung (BMVg). Die Verbindung zu diesen vor Ort ansässigen Ministerien war und ist Voraussetzung dafür, dass sich in Bonn ein hoch funktionales Netzwerk entwickelt hat: mit den UN-Institutionen, dem World Conference Center Bonn, den Bundesministerien, Bundesbehörden, rund 150 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), renommierten Wissenschaftseinrichtungen, Medien und international operierenden Unternehmen. Dieses Netzwerk sichert nicht nur zehntausende hochqualifizierte Arbeitsplätze in der Region, sondern es ist auch Garant für die Effektivität der politischen Arbeit, die von Bonn aus geleistet wird und von der ganz Deutschland und die internationale Staatengemeinschaft profitieren.
Es liegt daher im umfassenden politischen Interesse, dass die Bundesstadt Bonn in den Politikfeldern, in denen sich im besonderen Maße Kompetenzen und aufgrund der Netzstrukturen Alleinstellungsmerkmale herausgebildet haben, weiter ausgebaut und gestärkt wird. Insbesondere sind dies die Bereiche
Bildung, Wissenschaft und Forschung,
Internationale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung,
Gesundheit,
Umwelt und Naturschutz,
Landwirtschaft und Ernährung,
Telekommunikation, Cyber-Sicherheit und Datendienste und
Kultur.
Die Regierungsaufgaben werden in Bonn effizient, erfolgreich und verantwortlich wahrgenommen. Sie gewährleisten einen vom Grundgesetz ausdrücklich gewollten lebendigen Föderalismus, der die Wirklichkeit der Bundesrepublik in Abkehr von zentralistischen Vorbildern kennzeichnet. An dem in der deutschen Verfassungsgeschichte einmaligen Stellenwert der Bundesstadt Bonn, nicht zuletzt als „Wiege der geglückten Demokratie“ auf deutschem Boden, darf nicht gerüttelt werden. Die Bedeutung und Ausgestaltung der Bundesstadt Bonn als zweites bundespolitisches Zentrum und Sitz der Vereinten Nationen muss nachhaltig gesichert und gestärkt werden.
Im Herbst wird die Bundesregierung eine Bestandsaufnahme der Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn vorlegen. Das Positionspapier der Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler „Bundesstadt Bonn – Kompetenzzentrum für Deutschland“ dient der Klarstellung der Sichtweise der Region und enthält wertvolle Vorschläge, wie die erfolgreiche Arbeitsteilung gestärkt werden kann.

Der Landtag beschließt:

Der Landtag begrüßt das von der Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler vorgestellte Positionspapier „Bundesstadt Bonn – Kompetenzzentrum für Deutschland“ und unterstützt die Region gegenüber dem Bundestag und der Bundesregierung bei ihren Forderungen:
Die in der Arbeitsteilung mit Berlin durch Bonn übernommene wichtige Funktion als Kompetenzzentrum für die Bereiche
Bildung, Wissenschaft und Forschung
internationale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung, Umwelt, Gesundheit, Landwirtschaft und Ernährung
Telekommunikation, Cyber-Sicherheit und Datendienste
Kultur
muss im nationalen und internationalen Interesse weiter ausgebaut werden. Dafür ist es unabdingbar, dass die politisch, fachlich und thematisch korrespondierenden Bundesministerien ihren ersten Dienstsitz in Bonn behalten. Das sind alle Ministerien, die auch jetzt schon ihren ersten Dienstsitz in Bonn haben.
Bundespräsident und Bundeskanzler behalten ihren Dienstsitz in Bonn.
Bonn wird als deutsche UN-Stadt weiter ausgebaut. Dazu gehört die weitere Ansiedlung von Institutionen der Vereinten Nationen, die Verbesserung der Bedingungen für internationale Organisationen – insbesondere auch durch ein Gaststaatgesetz – und die verstärkte Anwerbung internationaler Tagungen und Kongresse in der UN-Stadt Bonn.
Der Landtag betrachtet das Positionspapier als gute Grundlage für die anstehenden Gespräche mit der Bundesregierung. Diese Gespräche werden auf der Grundlage der bundespolitischen Koalitionsvereinbarung zu führen sein, in der es heißt: „Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz. Bonn bleibt das zweite bundespolitische Zentrum.“
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
gegenüber der Bundesregierung auf die Erfüllung des Berlin/Bonn-Gesetzes zu drängen;
sich um die weitere Ansiedlung von Institutionen der Vereinten Nationen in Nordrhein-Westfalen zu bemühen;
sich dafür einzusetzen, dass weiterhin internationale Konferenzen und Tagungen in der UN-Stadt Bonn stattfinden;
einen eigenen Beitrag zum 20. Jahrestag des UN-Standorts Bonn zu leisten und den UN-Standort Bonn national und international in der Bevölkerung bekannter zu machen.