1972 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz den sogenannten Radikalenerlass, der in NRW bis 1980 galt. Die darin getroffenen Regelungen sollten „Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten“ aus dem öffentlichen Dienst entfernen bzw. von diesem fernhalten.
Obwohl sich der Radikalenerlass formell gegen Links- und Rechtsextreme gleichermaßen richten sollte, traf er tatsächlich vor allem Aktive aus dem linken politischen Spektrum und Angehörige von Friedens- und Abrüstungsinitiativen. Die allermeisten Betroffenen hatten sich nichts zu Schulden kommen lassen, sondern waren legalen politischen Aktivitäten nachgegangen. Dennoch wurden sie unter einen Generalverdacht gestellt.
In der Folge des Radikalenerlasses wurden systemkritische Organisationen und Personen an den Rand der Legalität gedrängt. Die Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit und wurde behindert, bedroht und bestraft. 1995 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass die Berufsverbotspraxis gegen Artikel 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit) verstößt.
Mit unserem Antrag, den wir zusammen mit der SPD im November 2021 in den Landtag eingebracht haben, wollten wir erreichen, dass die Auswirkungen des Radikalenerlasses in NRW endlich historisch aufgearbeitet werden, wie dies zum Beispiel für Baden-Württemberg an der Uni Heidelberg geschieht. Der Landtag soll gegenüber den Betroffenen sein Bedauern für das zu Unrecht erfahrene Leid und die persönlichen Nachteile ausdrücken. Schließlich soll die Landesregierung Vorschläge für eventuelle rechtliche Rehabilitierungen und finanzielle Entschädigungen ausarbeiten.
Dies wird nun leider nicht geschehen. Nach vielen Gesprächen haben es die Koalitionsfraktionen abgelehnt, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. In der Sitzung des Hauptausschusses vom 17. März dieses Jahres stimmten sie gegen den Antrag. Das wird auch das Ergebnis der letzten Plenartage in dieser Wahlperiode sein. Damit vergeben CDU und FDP die Gelegenheit, viele Menschen, denen Unrecht widerfahren ist, 50 Jahre nach dem Beschluss des Radikalenerlasses zu rehabilitieren.