Gutachten über den landesgesetzlichen Diskriminierungsschutz in NRW unter besonderer Berücksichtigung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien

Handout Pressegespräch

Portrait Berivan Aymaz 2021

Zum Gutachten

Leitfragen:

1. In welchem Rahmen darf/muss NRW als Land Gesetze/Normen/Regelungen erlassen, um Diskriminierung zu verhindern?

2. Reichen die bestehenden Regelungen des Landesrechts in NRW aus, um Menschen ausreichend vor Diskriminierung zu schützen?

3. Inwieweit könnte der Diskriminierungsschutz durch ein eigenes Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) verbessert werden?

Warum brauchen wir überhaupt ein Landesantidiskriminierungsgesetz?

Aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland greift das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht in allen Bereichen. Deshalb sind auch Bundesländer verpflichtet, die  EU-Antidiskriminierungsrichtlinien umzusetzen.

Geltendes EU-Recht:

  • Das EU-Recht kennt vier „Antidiskriminierungsrichtlinien“:
    • Antirassismusrichtlinie, RL 2000/43/EG (Gleichbehandlung ohne Unterschied der ethnischen Herkunft)
    • Rahmenrichtlinie: RL 2000/78/EG (Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf bei Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität)
    • Genderrichtlinie: RL 2002/73/EG (Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen)
    • RL 2004/113/EG: Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen
  • 2006 führte der Bund das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein, das viele Bereiche dieser vier EU-Richtlinien für das Bundesrecht größtenteils umgesetzt hat. Das gilt insbesondere für die Bereiche Erwerbstätigkeit und Privatrechtsverkehr, also bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen.
  • In den Bereichen aber, in denen die Bundesländer die Regelungskompetenz innehaben, ist der Schutz vor Diskriminierung durch das AGG überwiegend nicht abgedeckt und damit die EU-Richtlinien nicht umgesetzt. Hier ergeben sich immer noch viele Schutzlücken für Betroffene. Dies gilt insbesondere für die landesrechtlichen Bereiche:
    • Bei der Landes-Kernkompetenz Bildung: Diskriminierungserfahrungen in Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen, Bibliotheken und Museen)
    • Bei sozialen Vergünstigungen (bspw. verbilligte Fahrkarten in öffentlichen Verkehrsmitteln, Schwimmbädern, Museen, verbilligte Mahlzeiten in Schulen)
    • staatliche Dienstleistungen wie z.B. Überlassung von kostengünstigem Wohnraum, Tätigkeiten der Gas- und Wassergesellschaften, Kultur- und Verkehrsbetriebe der Städte und des Landes, Sparkassen, soweit diese nicht dem AGG unterfallen (beispielsweise wird der Zutritt zu einer kulturellen Veranstaltung eines städtischen Kulturbetriebs aufgrund der Hautfarbe verweigert.)

Aus diesen bestehenden Rechtslücken ergibt sich insbesondere bei rassistischen Diskriminierungen ein klarer Handlungsauftrag für die Länder, die EU-Richtlinien in Gänze umzusetzen.

Ergebnisse des Gutachtens:

  • Die meisten Umsetzungsdefizite ergeben sich bei der Antirassismusrichtlinie und in Teilen bei der Genderrichtlinie.
  • Die Landesverfassung und andere Landesgesetze ächten zwar jede Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund der „Rasse“, dennoch fordert die Antirassismusrichtlinie noch konkretere und flankierende Regelungen, wie etwa:
    • wirksame und abschreckende Sanktionierung von Verstößen
    • besondere, niedrigschwellige Schadensersatzleistungen
    • Beweiserleichterung zugunsten von Diskriminierungsopfern
    • Beteiligungsrechte von Betroffenenverbänden im Verwaltungsverfahren und vor Gericht
  • Ferner fehlen dem NRW-Recht auch Regelungen, um mittelbare Diskriminierung – also indirekte Diskriminierung – explizit zu ächten. Dabei werden Personen durch scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren benachteiligt. Zum Beispiel wird im Bürgeramt der Zutritt mit Tieren generell verweigert. Diese neutrale Vorgabe benachteiligt sehbehinderte Menschen, die auf ihren Assistenzhund angewiesen sind, in besonderer Weise.
  • Auch für diskriminierende Belästigungen sowie die Anstiftung zur Belästigung fehlen explizite landesrechtliche Vorgaben, die solches Handeln sanktionieren.
  • Beim Rechtsschutz fehlen vor allem EU-rechtlich zwingend geforderte Regelungen für eine Beweiserleichterung, für Beteiligungsrechte von Betroffenenverbänden und für ein effektives Staatshaftungsrecht.
  • Zwar plant die Landesregierung eine Gesetzesreform des Teilhabe- und Integrationsgesetzes (TIntG). Darin ist auch ein Paragraph (§ 7) zur Antidiskriminierung enthalten. Allerdings ist die Vorschrift des § 7 TIntG-E für sich genommen nicht geeignet, die oben genannten Umsetzungsdefizite zu beheben, da sie verbindliche individualrechtliche Ansprüche der Bürger*innen weder begründet noch unmittelbar flankiert.
  • Der neue Paragraph im TIntG-E enthält keine Regelung zur Beweiserleichterung zugunsten von Diskriminierungsopfern (wie etwa das LADG Berlin), auch keinen Schadenersatzanspruch bei Diskriminierungserfahrungen und ermöglicht auch nicht, dass Diskriminierungsschutzverbände Opfer von Diskriminierung vor Gericht vertreten können.
  • Ferner fehlen im 7 TIntG-E klarstellende Diskriminierungsdefinitionen, die nötig sind, damit der gesetzlichen Schutzauftrag auch bei mittelbaren Diskriminierungen, Belästigungen und Anweisungen zu Diskriminierungen klargestellt wird.

Empfehlung: NRW sollte ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz erlassen

  • Die europarechtlichen Vorgaben enthalten im Ausgangspunkt lediglich Mindestschutzbestimmungen. Das Landesrecht darf also nicht unter das von den Richtlinien skizzierte Schutzniveau fallen, es darf aber sehr wohl ein höheres Maß an Diskriminierungsschutz
  • Statt in jeden Landesgesetzbereichen Einzelregelungen zu treffen, sprechen folgende Punkte für ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG):
    • Transparenter: Ein LADG ist für den Rechtssuchenden wie für die Rechtsanwenderin in hohem Maße transparent.
    • Wirkungsmächtiger: Die in der Landesverfassung verankerten Diskriminierungsverbote beschränken sich nicht auf bestimmte Regelungsbereiche – etwa die Bildung oder den Dienstleistungsverkehr –, sondern missbilligen es ganz grundsätzlich, wenn der Staat diskriminiert. Diese Klarstellung könnte in einem LADG eindeutiger ausgedrückt werden.
    • Globaler: Zugleich erklären die Bundes- und die Landesverfassung nicht nur den Rassismus und die Geschlechterdiskriminierung für besonders missbilligenswert. Sie verbieten im selben Atemzug zudem vorurteilsgeleitete Unterscheidungen aufgrund u.a. einer Behinderung, der Religion und der Herkunft. Ein allgemeines Landesantidiskriminierungsgesetz, das als Querschnittsgesetz das gesamte Landeshandeln und sämtliche Diskriminierungskategorien gleichermaßen anspricht, kann diese Verfassungsgrundsätze aufnehmen und sie detailliert und konkret auf alle Anwendungsbereiche umsetzen. Hierbei könnten auch weitergehende Regelungen getroffen werden, als die EU-Richtlinien es vorschreiben.