Die dürftige Digital-Bilanz der Regierung Laschet

Auswertung der GRÜNEN Großen Anfrage zum Stand der Digitalisierung in NRW

Im Frühjahr 2019 legte die Regierung Laschet eine gemeinsame, ressortübergreifende „Strategie für das digitale Nordrhein-Westfalen“ vor. Wir haben in der Großen Anfrage „Digital first oder NRW second?“ mit 512 Fragen den Stand der Digitalisierung in NRW und insbesondere den Umsetzungsstand der „Digitalstrategie“ abgefragt. Das Ergebnis: Die Digital-Bilanz der Laschet-Regierung ist dürftig. Von den 43 Zielen, die die Landesregierung in ihrer „Digitalstrategie“ festgelegt hat, sind bisher nur 8 erreicht. 20-mal wurden die Ziele teilweise erreicht, 15-mal gilt „Daumen runter“ für deutlich verfehlte und teilweise nicht einmal begonnene Ziele.

Unsere wichtigsten Kritikpunkte

  1. Das Digitalministerium ist Etikettenschwindel

Die Digital-Bilanz zeigt: Das Wort „Digitalisierung“ im Briefkopf macht längst keine neue Politik. Das Ministerium hat keinerlei Durchgriffsrechte. Ob die anderen Häuser Digitalisierungsprojekte durchführen oder nicht, hängt von deren Gutdünken ab. So wurden etwa Projekte im Umweltministerium (Ressourcenkreisläufe bei digitaler Hardware) oder der Staatskanzlei (Leitlinien Bürgerbeteiligung) überhaupt nicht angegangen.

Wer eine „Digitalstrategie“ auflegt, muss auch überprüfen, ob man diese Ziele überhaupt erreicht. Wenn die Landesregierung in der Strategie konkrete Zielmarken vorgegeben hat, heißt das noch lange nicht, dass sie diese auch überprüft. So will sie zwar die Zahl der Ausgründungen aus Hochschulen – also Studierende oder Forscher*innen, die eigene Unternehmen gründen – verdoppeln. Etwas um 50 Prozent steigern zu wollen, klingt super. Problem dieser Landesregierung: Sie kontrolliert die Zahl der Ausgründungen überhaupt nicht. Es gibt keine öffentlichen Statistiken.

Die Zuständigkeiten für die Digitalisierung wurden nicht im MWIDE gebündelt. So bekam nach dem Regierungswechsel das Wirtschaftsministerium zusätzlich lediglich die Zuständigkeit für die Digitale Verwaltung (Stabsstelle des Chief Information Officer, CIO) und die Fachaufsicht über IT.NRW. Im Ergebnis arbeitet jedes Ministerium weiter allein vor sich hin – beispielsweise hat das Umweltministerium jüngst ein eigenes Startup-Förderprogramm neben den Programmen des MWIDE aufgelegt. Auch Teile der Förderung für Breitband und Mobilfunk liegen noch beim Umweltministerium.

Auch die versprochene „Digitalisierungsdividende“ von einer Milliarde Euro Einsparungen, die die Landesregierung in dieser Legislaturperiode erwirtschaften wollte, entpuppt sich als Luftnummer. Die Landesregierung erwartet nach wie vor 1 Mrd. Euro Einsparung, aber größtenteils erst in der übernächsten Wahlperiode.

  1. Low hanging Fruits statt des nötigen Extrameters für den digitalen Aufbruch

Einige der erreichten Ziele der Digitalstrategie waren von Anfang an lächerlich ambitionslos. So strebte die Landesregierung an, „dass NRW in den kommenden fünf Jahren bei den EXIST-Gründerstipendien unter die Top 3-Bundesländer aufsteigt“ (Projekt Nr. 15). NRW lag aber bereits vor Verabschiedung der Strategie auf Platz 2.

Unspezifische Luftblasen wie „Medienkompetenz in die Fläche bringen“ sind keine konkreten, messbaren Ziele. Sie kaschieren nur, dass die Landesregierung es bereits als Erfolg betrachtet, nichts kaputt zu machen. Eine Wirksamkeitsanalyse des Ziels, digitale Unterrichtsinhalte zu stärken, findet nicht statt.

  1. Die Digitalisierung der Wirtschaft kommt nicht voran

Gerade der Mittelstand hat nach wie vor erheblichen Aufholbedarf bei der Digitalisierung. Jedes vierte Unternehmen ist laut NRW-Digitalisierungsindex eher nicht digitalisiert. Dabei sieht es bei kleinen und mittleren Unternehmen noch schlechter aus: 43,2 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen in NRW sind als eher wenig digitalisiert eingestuft, 25,4 Prozent als nur teilweise digitalisiert. Gerade einmal 5,8 Prozent werden als eher digitalisiert eingestuft und nur 0,3 Prozent als stark digitalisiert.

Die Digitalstrategie der Laschet-Regierung hat keinen grundlegenden Fortschritt bei der Digitalisierung der Wirtschaft gebracht. Digitalstrategie für die Wirtschaft heißt für die Regierung Laschet, 160 Broschüren als „KI-Readiness-Check“ für kleine und mittlere Unternehmen zu verteilen und sechs Digitalcoaches zu den 108.000 Einzelhändlern zu schicken.

Der angekündigte NRW.Bank-Digitalisierungskredit für KMU wurde zwar aufgelegt, vom geplanten Volumen von 500 Mio. Euro bis 2022 wurden aber erst etwas mehr als die Hälfte bewilligt (278 Mio. Euro).

  1. Startup-Potenziale bleiben liegen

Soziale und ökologische Startups fliegen nach wie vor unter dem Radar der Landesregierung. Andere Bundesländer unterstützen Social Entrepreneurship mit eigenen Strukturen, wie etwa Hessen mit dem Social Innovation Fonds. NRW verweist stattdessen auf die klassische Startup-Förderung, die in ihrer Wachstums- und Exitorientierung den Besonderheiten von sozialen und ökologischen Gründungen oftmals nicht gerecht wird.

Von ihrem Ziel, den Anteil der Gründerinnen auf ein Drittel zu steigern, ist die Landesregierung nach wie vor weit entfernt. Nur 12,9 Prozent der Startup-Gründungen in NRW erfolgen durch Frauen. Auch bei ihrem eigenen wichtigsten Förderinstrument, dem Gründerstipendium, bleibt die Landesregierung mit 23,8% Frauenanteil deutlich dahinter zurück. Die Jurys zur Vergabe des Gründerstipendiums sind entgegen den Zielen der Landesregierung nach wie vor nicht paritätisch besetzt (Frauenanteil 36%).

Auch im Bereich der Startup-Finanzierung erfüllt die Laschet-Regierung ihre selbstgesteckten Ziele nicht. Statt einer halben Milliarde Venture Capital, wie es die Digitalstrategie als Ziel formuliert, standen Gründerinnen und Gründern in NRW im Jahr 2020 nur 196 Mio. Euro privates Wagniskapital zur Verfügung. Die Gründungsförderung an Hochschulen erscheint deutlich verbesserungsbedürftig. Nur 15 Studierende von ca. 780.000 haben in den letzten zwei Jahren ein Gründer-Urlaubssemester erhalten.

  1. Klimaschutz

Die Digitalisierung kann, wenn man es richtig macht, der zentrale Motor des Klimaschutzes sein. Aber auch in der Digitalpolitik der Landesregierung ist Klimaschutz ein Thema unter „ferner liefen“.

Die Landesregierung hat immer noch keine eigenständige Green-IT-Strategie, obwohl die öffentliche Hand hierbei eine Vorreiterfunktion haben müsste. Zwar bleibt der ausgewiesene Energieverbrauch der öffentlichen Rechenzentren trotz gesteigerter Verarbeitungskapazität einigermaßen konstant, jedoch ist diese Statistik wieder einmal schöngerechnet: Statt auf eigene Rechenzentren greift die Landesregierung vermehrt auf virtuelle Server zurück, die sie dann nicht mehr in ihre eigene Energiebilanz einbeziehen muss. Das in der „Digitalstrategie“ versprochene Projekt zur Förderung der Kreislaufwirtschaft bei digitaler Hardware ist dem Umweltministerium nicht bekannt.

Die Landesregierung will die Digitalisierung des Energiesektors vorantreiben. Doch wenn Schwarz-Gelb dieses fraglos richtige Ziel bearbeitet, kommt nicht mehr raus als drei Podiumsveranstaltungen und ein Video. Ob sie ihr Ziel, Startups in der Energiewirtschaft – und damit oftmals die Innovatoren für die Energiewende – zu fördern erreicht hat, weiß die Landesregierung nicht genau. Zahlen für ein Monitoring dieses Ziels werden nicht erhoben.

  1. Infrastrukturziele werden nicht erreicht

Die Ausbauziele bei der digitalen Infrastruktur werden voraussichtlich nicht erreicht:

  • „Gigabitfähige Netze“ für alle Privathaushalte bis 2025: heutiger Ausbaustand 66%, eine Zielerreichung ist äußerst unwahrscheinlich.
  • „Gigabitfähige Netze“ für alle Schulen bis 2022: heutiger Ausbaustand 65%, eine Zielerreichung ist äußerst unwahrscheinlich.
  • Glasfaser in alle Gewerbegebiete bis 2022: Umsetzungsstand 20%, selbst wenn alle aktuell geplanten Gewerbegebiete (57%) bis 2022 realisiert würden, wäre das Ziel noch nicht erreicht.

Zudem setzt die Landesregierung mit ihrem PR-Begriff „gigabitfähige Netze“ auf Übergangstechnologien, statt direkt in Glasfaser zu investieren. Bei den Schulen stellt sich die Lage besonders problematisch dar: Der Glasfaser-Ausbaustand von 12% der Schulen ist zu niedrig, „gigabitfähige“ Anschlüsse mit anderen Technologien verlieren dramatisch an Geschwindigkeit, wenn viele Schüler*innen gleichzeitig surfen. Außerdem werden Schulen auch als versorgt angesehen, wenn die Glasfaser nur in der Straße liegt („homes passed“), aber nicht im Schulgebäude ankommt. Ganz zu schweigen von fehlender WLAN-Ausstattung. Beides müssten die Kommunen gewährleisten – die Landesregierung fragt aber lieber gar nicht erst nach, ob die klammen Kommunen in NRW das auch tatsächlich schaffen.

  1. Die digitale Gesellschaft braucht einen digitalen Staat

Die Digitalisierungsprofis in Estland zeigen es: Fortschritte bei der digitalen Gesellschaft und der digitalen Wirtschaft gibt es nur, wenn der Staat mit der Digitalisierung bei sich selbst anfängt.

Doch trotz aller Ankündigungen sind erst 35,7 Prozent der Verwaltungsprozesse der Landesverwaltung digitalisiert. Auf die Frage, welche Verwaltungsprozesse noch digitalisiert werden müssen, schreibt die Landesregierung lange Vorbemerkungen gespickt mit vielen „Wenns“ und „Abers“. Die Liste der Prozesse, die noch digitalisiert werden muss, ist 123 Seiten lang. Von den 152 Verwaltungsdiensten, die NRW im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes digitalisieren will, wurden erst zwei umgesetzt, alle anderen auf Ende 2022 vertagt. Neue Formen der Zusammenarbeit und agilere Verwaltungskultur wurden in der „Digitalstrategie“ zwar angekündigt, geliefert hat die Landesregierung aber nicht.

Die Verwaltungen müssen aber nicht nur gegenüber den Bürger*innen digitalisiert werden, sondern auch nach innen, damit Verfahren durchgehend digital sein können. Die Landesregierung weiß aber nicht, welche Prozesse definitiv digitalisiert werden. Auch hat sie keine Übersicht über die Vorgänge in eigenständigen Organisationseinheiten. Die Kommunen bleiben von der Verwaltungsdigitalisierung ausgenommen, es bleibt bei Modellprojekten, bei denen nicht einmal die Übertragung in andere Gemeinden nachgehalten wird.